Agoraphobie: in der Falle sitzen


Eine Agoraphobie (ICD-10-Code: F40.0) besteht in der deutlichen und anhaltenden Angst und Furcht vor oder der Vermeidung von mindestens zwei von vier Situationen: Menschenmengen, öffentlichen Plätzen (inklusive Räumen), allein Reisen, Reisen mit weiter Entfernung von Zuhause.

Das Fehlen von Fluchtwegen, bewährten Hilfsmitteln (Beruhigungsmitteln, Handy, Talisman) und Vertrauenspersonen bestimmen das Ausmaß einer Agoraphobie.

Der Begriff der Agoraphobie (griech: agora = Marktplatz) bedeutet zwar in wörtlicher deutscher Übersetzung „Marktplatz“, bezieht sich jedoch nicht nur auf Ängste vor offenen Plätzen, sondern auf die Furcht vor allen möglichen öffentlichen Plätzen.

Gefürchtet werden nicht nur große Plätze mit vielen oder wenig Menschen, sondern auch alle anderen Orte, zu denen jeder Mensch Zugang hat: große Räume wie Geschäfte, Kirchen oder Kinos, kleine Räume wie Aufzüge oder eine Sauna, weiters öffentliche Verkehrsmittel inklusive Flugzeuge.

Bei ausschließlicher Angst vor engen oder geschlossenen Räumen besteht eine Spezifische Phobie, Situativer Typ (Klaustrophobie oder Raumangst).

Viele Betroffene haben große Angst davor, allein das Sicherheit gebende Haus zu verlassen, insbesondere davor, ohne Begleitperson Geschäfte zu betreten und dort vor der Kassa Schlange zu stehen, sich in Menschenmengen ohne Fluchtmöglichkeit aufzuhalten, allein in Zügen, Bussen oder Flugzeugen zu reisen oder in Situationen zu geraten, in denen sie kollabieren und hilflos in der Öffentlichkeit liegen bleiben könnten.

Die Störung beginnt meist im frühen Erwachsenenalter und kommt mehrheitlich bei Frauen vor.

Die Betroffenen sind durch das Vermeidungsverhalten oder die Angstsymptome emotional stark belastet. Sie haben die Einsicht, dass ihre agoraphobischen Ängste übertrieben oder unvernünftig sind, können sich aber dennoch nicht anders verhalten.

Die Symptome von Angst und Furcht treten ausschließlich oder vornehmlich in agoraphobischen Situationen sowie beim Gedanken daran auf.

Eine Agoraphobie lässt sich differenzieren in: „ohne Panikattacken“ (F40.00) und „mit Panikattacken“ (F40.01). Das Auftreten von Panikattacken gilt als höherer Schweregrad einer Agoraphobie.

Agoraphobiker*innen mit Panikattacken fürchten und vermeiden alle Situationen, in denen eine Panikattacke auftreten könnte.

Bei einer Agoraphobie ohne Panikattacken fürchten die Betroffenen vor allem Symptome wie Schwindel beim Gehen, Ohnmachtsneigung beim Stehen, Harn- und/oder Stuhldrang ohne Toilette in nächster Nähe sowie Hitze, Schweißausbrüche, Atemnot und Beklemmungsgefühle in geschlossenen Räumen.

In agoraphobischen Situationen müssen mindestens zwei von 14 Angstsymptomen mindestens einmal gleichzeitig aufgetreten sein, davon eines aus der Gruppe der vegetativen Symptome 1 bis 4.
 
Vegetative Symptome:
1.  Herzstolpern (Palpitationen), Herzklopfen oder erhöhte Herzfrequenz,
2.  Schweißausbrüche,
3.  fein- oder grobmotorisches Zittern,
4.  Mundtrockenheit.

Symptome im Brust- und Bauchbereich:
5.  Atembeschwerden,
6.  Beklemmungsgefühl,
7.  Schmerzen oder Missempfindungen in der Brust,
8.  Übelkeit oder Missempfindungen im Bauchbereich (z.B. Unruhegefühl im Magen).

Psychische Symptome:
9.  Gefühl von Schwindel, Unsicherheit, Schwäche oder Benommenheit,
10.  Gefühl, die Objekte sind unwirklich (Derealisation) oder man selbst ist weit entfernt oder „nicht wirklich hier“ (Depersonalisation),
11.  Angst vor Kontrollverlust, verrückt zu werden oder „auszuflippen“,
12.  Angst zu sterben.

Allgemeine Symptome:
13.  Hitzewallungen oder Kälteschauer,
14.  Gefühllosigkeit oder Kribbelgefühle.

Menschen mit einer Agoraphobie erleben vier zentrale Grundbedürfnisse fundamental bedroht: 

  • Gesundheit und körperliches Wohlbefinden (sie fürchten letztlich nicht verschiedene Situationen an sich, sondern dass sie sich dort körperlich und psychisch höchst unwohl fühlen könnten, bis hin zur Bedrohung von Leib, Leben und Verstand), 


  • Bindung und Geborgenheit (sie können die Abwesenheit von wichtigen Bezugspersonen in subjektiv bedrohlichen Situationen nicht tolerieren),


  • Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz (sie haben Angst, wegen ihrer Symptome und ihres Verhaltens unangenehm aufzufallen, ohne dass sie deswegen schon eine Soziale Phobie aufweisen),


  • Autonomie und Kontrolle (sie haben trotz ihres ständigen Vermeidungsverhaltens ein großes Bedürfnis nach Kontrolle, um alles „im Griff“ zu haben). 


Die Betroffenen befinden sich in einem Konflikt zwischen verschiedenen Grundbedürfnissen („Gesundheit und körperlichem Wohlbefinden“ versus „Autonomie und Kontrolle“, „Bindung und Geborgenheit“ versus „Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz“).

Die Unfähigkeit, reales und befürchtetes Ausgeliefertsein in objektiv harmlosen Situationen ertragen zu können, hängt oft nicht nur mit der Persönlichkeitsstruktur und bestimmten Grundbedürfnissen der Betroffenen zusammen, sondern auch mit ihrer Lebensgeschichte, die dazu geführt hat, dass sie von nichts und niemandem abhängig sein wollen, obwohl sie es aufgrund ihres zunehmenden Vermeidungsverhaltens tatsächlich immer mehr werden – wenn nicht von Personen, dann von Psychopharmaka wie rasch wirksamen Tranquilizern oder dem rettenden Handy, mit dem sie sofort den Notarzt oder bestimmte Vertrauenspersonen herbeirufen können.

Die dominierenden Gefühle angesichts von bevorstehenden agoraphobischen Situationen sind Angst und Furcht, in den gefürchteten Situationen dagegen absolute Hilflosigkeit, Schwäche und Ausgeliefertsein der jeweiligen Situation sowie anderen Menschen gegenüber. Hinter der Angst vor der Angst steht bei vielen Personen mit einer Agoraphobie somit die Angst vor anderen höchst unangenehmen oder peinlichen Gefühlen. 


Agoraphobie – den Aktionsradius ausweiten statt einschränken 

  

Gesundes Verhalten ausbauen: mit und trotz Angst und Furcht alle Situationen auf, die wichtig sind

 

Eine Agoraphobie besteht im Unwohlsein in mehreren unterschiedlichen Situationen ohne sofortige Fluchtmöglichkeit, verlässliche Vertrauenspersonen oder bewährte Hilfsmittel aller Art.

Im Folgenden werden die wichtigsten Strategien zur raschen und effizienten Bewältigung einer Agoraphobie in Form von zehn Schritten zusammenfassend dargestellt.

 

1.  Ängste verstehen: Dahinter steht die Bedrohung zentraler Grundbedürfnisse. 

Menschen mit Agoraphobie fürchten angesichts von zahlreichen Orten letztlich ihre eigenen körperlichen und psychischen Symptome sowie das vorübergehende Eingeschränktsein in objektiv völlig ungefährlichen Situationen, sodass sie sich lieber selbst einschränken und immer weniger von dem tun, was ihnen früher wichtig war. 

Die Betroffenen wissen um die Ungefährlichkeit der gefürchteten Situationen, können ihr Vermeidungs- und Kontrollverhalten aber dennoch nicht aufgeben. 

Sie haben weiterhin Angst vor Panikattacken oder anderen unkontrollierbaren körperlichen Symptomen (z.B. Schwindel, Atemnot, Beklemmungsgefühlen, Harn- oder Stuhldrang), obwohl sie diese schon oft ohne körperlichen Schaden oder sichtbare Peinlichkeit überlebt haben. 

Sie fühlen sich trotz des Wissens um ihre Gesundheit unwohl in Abwesenheit von Vertrauenspersonen und bei Fehlen verschiedener Hilfsmittel (z.B. Beruhigungsmittel, Handy, Halte- und Stützmöglichkeiten bei Schwindel). 

Sie möchten im Fall erheblicher Symptome unbekannten Menschen, fremdsprachigen Ärzten oder wenig vertrauenswürdigen Krankenhäusern nicht ausgeliefert sein.

Sie befürchten eine peinliche Auffälligkeit, wenn sie ihre Symptome sowie ihr Verhalten nicht unter Kontrolle haben. 


Geben Sie im Fall einer Agoraphobie durch Ankreuzen der zutreffenden Zahl an, in welchem Ausmaß die folgenden fünf Bedrohungsszenarien als Ursache, Auslöser oder Verstärker Ihrer Agoraphobie infrage kommen (0 = gar nicht, 1 = ein wenig, 2 = mäßig, 3 = stark, 4 = sehr stark). 

 

Bedrohungsszenario 

  • Bedrohung des Körpers/des körperlichen Wohlbefindens  0  1  2  3  4
  • Bedrohung der sozialen/wirtschaftlichen Sicherheit   0  1  2  3  4
  • Bedrohung der Bindungen/Geborgenheit   0  1  2  3  4
  • Bedrohung des Selbstwerts/Sozialprestiges  0  1  2  3  4
  • Bedrohung der Kontrolle/Autonomie   0  1  2  3  4

 

Führen Sie ein Angsttagebuch und analysieren Sie schriftlich alle möglichen Zusammenhänge zwischen Ihrer Agoraphobie einerseits und Ihrer Lebenssituation, Ihrer inneren Befindlichkeit und Ihren „Was wäre, wenn …?“-Bedrohungsszenarien andererseits.

Nutzen Sie Ihr Angsttagebuch auch als Erfolgstagebuch. Notieren Sie alle Erfolge sowie wirksamen Strategien im Umgang mit Ihrer Agoraphobie. 

Folgende Fragen können hilfreich sein: 

  • Welche Orte und Situationen fürchten und vermeiden Sie bzw. halten Sie ohne Vertrauenspersonen und Sicherheitsstrategien wie Medikamente oder Handy nur unter großem Unwohlsein aus? Reihen Sie diese nach dem Ausmaß der Belastung. Welche Erkenntnisse können Sie daraus gewinnen? 
  • Wie eng hängt Ihre Agoraphobie mit Panikattacken oder Symptomen wie Schwindel, Harn- oder Stuhldrang zusammen? 
  • Welche körperlichen und psychischen Symptome fürchten Sie in agoraphobischen Situationen am meisten? 
  • Welche Gedanken, Vorstellungen und Gefühle treten in diesen Situationen in belastender Weise auf? 
  • Was macht es für Sie in der Vorstellung und in der Realität so unerträglich, gefürchteten agoraphobischen Situationen auch nur vorübergehend ausgeliefert zu sein? Was macht Ihr Unbehagen aus, wenn Sie vom Verstand und aus Erfahrung wissen, dass Sie keinen körperlichen oder psychischen Schaden erleiden werden? 
  • Was sind Ihre typischen Sicherheits- und Vermeidungsstrategien, die Ihre Agoraphobie kurzfristig erleichtern, langfristig jedoch verschlimmern? 
  • Welche Ursachen in Kindheit, Jugendzeit und Erwachsenenalter machen Sie aufgrund der Informationen in diesem Buch für Ihre Agoraphobie verantwortlich? 
  • Erinnert Sie das unangenehme Gefangen- und Ausgeliefertsein in agoraphobischen Situationen an bestimmte Lebenssituationen in der Vergangenheit oder Gegenwart? 
  • Welchen Einfluss haben partnerschaftliche, familiäre und berufliche Faktoren auf die Ausprägung Ihrer Agoraphobie? 
  • Welche Bedeutung haben Ihre wichtigsten Einstellungen, Lebensregeln und Wertvorstellungen? 
  • Welche Merkmale Ihrer Persönlichkeit könnten eine Rolle spielen? 

 

2.  Denkmuster ändern: Entwickeln Sie hilfreichere Sichtweisen.

Menschen mit Agoraphobie halten oft an folgenden Glaubenssätzen und Denkweisen fest: 

  • „Ich muss in jeder Situation immer die totale Kontrolle über alles und jedes haben, damit ich mich niemals hilflos ausgeliefert fühle“, 
  • „Ohne Fluchtweg, Vertrauensperson oder Hilfsmittel kann ich diese Situation nicht ertragen“, 
  • „Ich muss um jeden Preis durchhalten; wenn ich das nicht verlässlich genug schaffen kann, sollte ich mich auf bestimmte Situationen gar nicht einlassen“, 
  • „Wenn nur ein minimales Restrisiko in Bezug auf eine Beeinträchtigung meiner körperlichen Befindlichkeit gegeben ist, sollte ich das Schicksal nicht herausfordern“, 
  • „Wenn ich in bestimmten Situationen mein Verhalten, meinen Körper oder Verstand nicht sicher unter Kontrolle haben kann, verlieren diese trotz großer Attraktivität den Anreiz für mich“, 
  • „Wenn ich in bestimmten Situationen schwach und hilflos sein sollte, möchte ich nicht auf fremde Hilfe angewiesen sein“, 
  • „Wenn ich in bestimmten Situationen meinen Körper nicht vollständig unter Kontrolle hätte, wäre mir dies vor anderen Menschen sehr peinlich.“ 


Folgende Ratschläge können hilfreich sein: 

  • Erkennen, relativieren und – wenn möglich – ändern Sie jene Denkmuster, die Ihre Agoraphobie begünstigen und aufrechterhalten. Lernen Sie, mit Ihren Denkmustern auf dreifache Art und Weise erfolgreich umzugehen: durch neue und hilfreichere Sichtweisen, durch neue Erfahrungen im Rahmen einer eigenständig durchgeführten Konfrontationstherapie, die Ihre negativen Denkmuster widerlegen, sowie durch achtsame Akzeptanz Ihrer negativen Denkmuster bei gleichzeitig erfolgreicher Konzentration auf das, was Sie aufgrund Ihrer Bedürfnisse, Werte und Ziele erleben und erreichen möchten. 


  • Reduzieren Sie das überhöhte Anspruchsniveau, um jeden Preis ohne Flucht ausharren zu müssen. Gestatten Sie sich trotz gegenteiliger Empfehlungen vieler Fachleute eine vorübergehende Flucht, etwa in einem öffentlichen Verkehrsmittel, einem Privatauto, einem Geschäft, Kino, Theater oder sonstigen Veranstaltungsraum, um sich zu regenerieren. Sobald Sie sich das Verlassen der agoraphobischen Situation erlauben statt verbieten, können Sie noch eine Weile länger durchhalten, weil Sie Flucht nicht als Schwäche, sondern als Ausdruck Ihrer Freiheit betrachten, zu gehen oder zu bleiben, wie es Ihren Bedürfnissen entspricht. Es geht nicht darum, stärker zu sein als Angst und Furcht und sie niederzuringen wie Feinde, aber auch nicht primär darum, auszuharren, bis Angst und Furcht im Laufe der Zeit von alleine nachlassen (Fachausdruck: Habituation), wie dies bei klassischen Konfrontationstherapien in der Verhaltenstherapie gelehrt wird. Es geht vielmehr darum, wie Sie trotz einer gewissen Angst und Furcht mithilfe anfänglicher Erleichterungen und vorübergehend eingesetzter Hilfsmittel in den gefürchteten Situationen positive Erfahrungen machen und die Befriedigung Ihrer Wünsche und Grundbedürfnisse erreichen können. 

 

3.  Körperliche Befindlichkeit verbessern: Nutzen Sie körperliche Aktivität und Entspannung zum Stressabbau. 

In agoraphobischen Situationen entwickelt man automatisch eine anhaltende Kampf-Flucht-Reaktion, als ginge es buchstäblich um Leib und Leben – beim gleichzeitigen Gefühl, „in der Falle zu sitzen“ und dabei auf keinerlei Hilfestellungen zurückgreifen zu können. 


Viele Menschen mit Agoraphobie haben niemals Panikattacken erlebt, sondern beklagen einen verspannungsbedingten Schwindel mit Stand- und Gangunsicherheit bei völlig unberechtigter Ohnmachtsangst, ein anhaltendes Beklemmungsgefühl in geschlossenen Räumen sowie einen subjektiv sehr belastenden Harn- oder Stuhldrang. Haben Sie derartige Erfahrungen gemacht? 

Folgende Ratschläge können hilfreich sein:

  • Bewegen Sie sich ein wenig oder sogar kräftig, ähnlich wie bei einer Panikattacke, um die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol und die damit verbundene körperliche Anspannung abzubauen und die Entspannung zu fördern, ohne tatsächlich den Ort fluchtartig zu verlassen. Bleiben Sie an der Kassa eines Supermarkts nicht angespannt stehen, sondern gehen Sie neuerlich eine Runde oder lösen Sie die Erstarrung der Beine durch Gehbewegungen am Stand, bewegen Sie sich in einem Aufzug auf der Stelle wie in einem Fitnessstudio auf dem Laufband, gehen Sie in einem öffentlichen Verkehrsmittel von einem Ende zum anderen, bewegen Sie sich in einem Flugzeug ein wenig auf dem Sitz oder im Raum, wie chronische Schmerzpatienten bei Langstreckenflügen dies tun. Machen Sie sich auch bewusst, was Ihnen aus langjähriger Erfahrung bekannt ist: Bewegung hemmt die Ausscheidungsorgane und vermindert somit einen peinlichen Harn- oder Stuhldrang. 


  • Seien Sie mutig und bewegen Sie sich trotz Ihrer Angst, dadurch unangenehm aufzufallen. Bleiben Sie auf der Autobahn auf dem Pannenstreifen stehen und stellen Sie so lange ein Pannendreieck auf, bis Sie sich wieder wohler fühlen. Verlassen Sie vorübergehend einen vollbesetzten oder überhitzten Raum ohne offene Fenster, wie andere Leute aus Nervosität auf die Toilette oder in die frische Luft gehen. Eine kurze Auszeit zur Entspannung und Regenerierung ist durchaus okay, wenn sie dazu dient, dass Sie Ihre geplanten Aktivitäten danach wieder mit mehr Wohlbefinden, Energie und Konzentration fortsetzen. 


  • Nutzen Sie verschiedene Atemtechniken als einfache Hilfsmittel, um rasch die Anspannung abzubauen, ähnlich wie bei Panikattacken. Halten Sie in Beengtheitssituationen nicht vor Schreck die Luft an, sondern atmen Sie durch, indem Sie langsam und intensiv durch die Nase einatmen und langsam und vollständig durch leicht geschlossene Lippen ausatmen. Bedenken Sie: Beengend ist nicht die Situation an sich, belastend ist vielmehr Ihr Beklemmungsgefühl im Brustkorb, das Sie übermäßig nach Luft ringen lässt, ohne dass Sie sich danach kräftig bewegen. 


  • Nutzen Sie alle Möglichkeiten, die kurzfristig zur Absenkung der körperlichen Grundanspannung und langfristig zu einem besseren körperlichen Wohlbefinden beitragen: längere Spaziergänge, Tanzen, Gymnastik, Ausdauersportarten wie Wandern, Nordic Walking, Joggen, Radfahren oder Schwimmen, Konditions- und Krafttraining zu Hause oder im Fitnessstudio, Entspannungstechniken wie Atemübungen, Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung nach Jacobson sowie umfassendere Methoden wie Yoga, Qigong oder Tai-Chi. Regelmäßige körperliche Betätigung vermindert nicht nur ein agoraphobisches Vermeidungsverhalten, sondern reduziert nachweislich die Rückfallgefahr bei Angststörungen und Depressionen ähnlich erfolgreich wie Antidepressiva. 

 

4.  Aufmerksamkeit lenken: Konzentrieren Sie sich auf das, was im Moment hilfreich und wichtig ist. 

Ein Leben mit Agoraphobie ist ein Leben voll verpasster Chancen und Gelegenheiten, weil es den Betroffenen mehr darum geht, ein Restrisiko zu vermindern, als einen trotz Angst, Furcht und Panikattacken möglichen Erfolg anzupeilen. 

Menschen mit Agoraphobie fürchten sich vor dem Falschen: vor objektiv harmlosen Orten, Situationen und Symptomen. Die Betroffenen sollten mehr Angst davor haben, wichtige Dinge und Erfahrungen im Leben unwiederbringlich zu versäumen, wenn sie durch ihr andauerndes Vermeidungsverhalten die Erreichung ihrer Ziele immer weiter in eine unbestimmte Zukunft verlagern. 


Folgende Ratschläge können hilfreich sein:

  • Kämpfen Sie stets für und nicht gegen etwas. Erschöpfen Sie sich nicht im Kampf gegen Angst und Furcht, sondern verausgaben Sie sich beim Einsatz für ein lebenswerteres Leben. Ihre Agoraphobie überwinden Sie dann am schnellsten, wenn Ihr Bedürfnis, etwas Schönes zu erleben und etwas Wichtiges zu tun, größer ist als Ihre Angst, Furcht und Panik vor bestimmten Situationen. Nutzen Sie die Kraft des Belohnungssystems, indem Sie attraktive Ziele anpeilen, sowie das Geborgenheitssystems, indem Sie zuerst gewünschte Orte zusammen mit Vertrauenspersonen aufsuchen. 


  • Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit in agoraphobischen Situationen primär auf das, was Sie erreichen möchten. Konzentrieren Sie sich nicht einseitig auf das, was Sie vermeiden möchten. Was sind Ihre zentralen Grundbedürfnisse, Werte und Ziele, die Sie motivieren, bestimmte Orte und Situationen aufzusuchen, auch wenn Sie sich gleichzeitig davor fürchten? Was macht Ihr Leben sinnvoll und erfüllt, trotz Angst und Furcht? Was macht es lohnend, vorübergehend Ihre agoraphobischen Ängste zu tolerieren, um dann das zu tun, was Sie eigentlich erleben möchten? 


  • Formulieren Sie Ihre Ziele stets positiv, das heißt als schrittweise erreichbar und hinterher anhand konkreter Erfolgserlebnisse auch überprüfbar (z.B. „Wieder in alle Geschäfte gehen können“, „Wieder mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren können“) statt negativ, das heißt als bloße Abwesenheit von unerwünschten Zuständen. Je spezifischer Ihre Ziele sind, umso mehr Motivation und Energie werden Sie aufbringen, um sie zu erreichen. Je konkreter Sie Ihre Ziele formulieren und je besser Sie deren Umsetzung visualisieren können, umso mehr Interesse, Neugierde und Leidenschaft werden Sie entwickeln, sie zu verwirklichen.  


  • Erstellen Sie einen schrittweisen Plan zur Überwindung Ihrer Agoraphobie. Welche Orte und Situationen möchten Sie in drei Monaten wieder aufsuchen können? Welche Orte, Geschäfte, Veranstaltungsräume und Verkehrsmittel möchten Sie zuerst betreten können? Welche vernachlässigten Aktivitäten möchten Sie zukünftig wieder aufnehmen? 


  • Entwickeln Sie attraktive Ziele jenseits Ihrer Agoraphobie, die Ihre Motivation in agoraphobischen Situationen erhöhen. Das erhöht die Freisetzung von Dopamin – jenem Botenstoff, der den Gegenspieler zu den Stresshormonen darstellt. Was macht Ihre Leidenschaft im positiven Sinn aus? Welcher „Kick“ ist stärker als Ihre Angst und Furcht? Wofür konnten und können Sie sich nach wie vor begeistern? Was ist Ihnen im Leben so wichtig, dass Sie es in absehbarer Zeit unbedingt erreichen möchten? 


  • Überlagern Sie unangenehme durch angenehme Gefühle. Unangenehme Gefühle wie Angst und Furcht lassen sich nicht so leicht durch Vernunftargumente und großen Willenseinsatz überwinden, sondern viel schneller und besser dadurch, dass Sie durch motivierende Ziele angenehme Gefühle wie Vorfreude aktivieren, die mit der Erreichung dieser Ziele verbunden sind. 


  • Stellen Sie andere Grundbedürfnisse als Ihr körperliches Wohlbefinden in den Mittelpunkt Ihrer Aufmerksamkeit. Die mangelnde Befriedigung Ihrer Grundbedürfnisse nach körperlichem Wohlbefinden sowie nach Kontrolle und Autonomie in agoraphobischen Situationen können Sie dann am ehesten tolerieren, wenn Sie sich auf die drei anderen Grundbedürfnisse besinnen: das Grundbedürfnis nach Bindung, das Sie antreibt, gewünschte soziale Kontakte wieder aufzunehmen, das Grundbedürfnis nach Selbstwerterhöhung, das durch die erfolgreiche Bewältigung bislang gefürchteter Situationen gestärkt wird, das Grundbedürfnis nach sozioökonomischer Sicherheit, etwa in Form der Absicherung Ihres Arbeitsplatzes, den Sie bei langdauernder Agoraphobie leicht verlieren könnten. 


  • Erstellen Sie auf der Basis Ihrer Grundbedürfnisse konkrete Ziele, die für Sie sehr bedeutsam sind. Häufig geht es um folgende Ziele: bestimmte geliebte Menschen nach längerer Zeit wieder besuchen, mit der Familie einen schönen Urlaub weit weg von zu Hause verbringen, der Partnerin oder dem Partner einen lang gehegten Wunsch erfüllen, mit Freunden in eine interessante Stadt reisen, an bestimmten Veranstaltungen teilnehmen, ein geliebtes Hobby oder eine früher gerne ausgeübte Freizeitaktivität außerhalb der Wohnung ausführen, Aktivitäten ohne Vertrauensperson unternehmen, nach kurzem Krankenstand bald wieder den Arbeitsplatz aufsuchen, mit dem eigenen Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, um den Arbeitsplatz bequemer erreichen zu können als zu Fuß oder mit dem Fahrrad. 

 

5.  Achtsamkeit üben, Akzeptanz fördern: Nehmen Sie Ihre Körperempfindungen, Gedanken, Vorstellungen und Gefühle achtsam wahr. 

Eine Agoraphobie mit oder ohne Panikattacken besteht nicht nur in der Angst und Furcht vor bestimmten Orten und Situationen, sondern vor allem auch in der Angst vor den eigenen Körperempfindungen, Gefühlen und Gedanken in den gefürchteten Situationen. 


Die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion nach Jon Kabat-Zinn – eine Methode der Wahrnehmung und Beobachtung der momentanen körperlichen und psychischen Befindlichkeit ohne ängstliche Bewertung – stellt eine hervorragende Vorbereitung auf die Konfrontation mit gefürchteten Symptomen in agoraphobischen Situationen dar. 


Achtsamkeit als besondere Form der bewussten und nicht bewertenden Aufmerksamkeitslenkung auf das Hier und Jetzt, auf den gegenwärtigen Augenblick, ist keine spezielle Methode zur Bewältigung von Angst, Furcht und Panik; sie ist weder eine Entspannungstechnik noch eine Konfrontationstherapie, sondern vielmehr eine grundlegende Haltung und Einstellung im Umgang mit sich selbst und der Welt. 

Es geht dabei ganz konkret darum, einerseits alle Körperempfindungen, Gedanken, Erinnerungen und Gefühle wahrzunehmen und andererseits bewusst die Aufmerksamkeit so gut wie möglich auf das zu richten, was im Moment gerade wichtig ist, wie etwa die achtsame Beobachtung Ihrer Ein- und Ausatmung oder die Ausführung einer bestimmten Tätigkeit. 


Folgende Ratschläge können hilfreich sein: 

  • Nehmen Sie in Alltagssituationen sowie in agoraphobischen Situationen Ihre innere Befindlichkeit achtsam wahr. Spüren Sie Ihren Körper ohne Ablenkungs-, Verdrängungs- und Kontrollstrategien, während Sie sich gleichzeitig auf das konzentrieren, was Sie gerade tun. Akzeptieren Sie Ihre körperlichen und psychischen Angstsymptome. Sie können auch mit und trotz Angst erfolgreich handeln. 


  • Registrieren und benennen Sie Ihre momentane Befindlichkeit mit treffenden Worten. Beschreiben Sie Ihre Körperempfindungen: „Mein Herz schlägt schneller als sonst“, „Mir wird ganz heiß und schwindlig“, „Ich habe den Eindruck, zu wenig Luft zu bekommen.“ Identifizieren Sie Ihre Gedanken und Denkmuster: „Ist das nicht doch gefährlich?“, „Ich halte das nicht mehr länger aus und möchte am liebsten davonlaufen.“ Formulieren Sie in treffenden Worten Ihre Gefühle: „Ich fürchte mich wie ein kleines Kind, ohne Vertrauensperson in der Nähe“, „Ich bin verärgert und enttäuscht, dass meine Angst, Furcht und Panikattacken noch immer so stark sind.“ Erkennen Sie Ihre Bedürfnisse und Wünsche: „Ich möchte an dieser interessanten Veranstaltung trotz aller Beschwerden unbedingt weiter teilnehmen“, „Ich möchte mit dem Auto bzw. mit dem öffentlichen Verkehrsmittel trotz aller Symptome weiterfahren, um mein geplantes Ziel rechtzeitig zu erreichen.“ 

 

6.  Gefürchtete Zustände provozieren: Lernen Sie einen besseren Umgang mit jenen Befindlichkeiten, die Sie am meisten fürchten. 

Darauf beruht der Erfolg aller sogenannten paradoxen Strategien: Sie tun ganz bewusst genau das, was Sie am meisten fürchten. Wenn Sie die schlimmsten Zustände nicht mehr fürchten, müssen Sie sie auch nicht mehr vermeiden.

Nutzen Sie Verhaltensexperimente als eine Art „Trockentraining“, um mit gefürchteten körperlichen und psychischen Symptomen im Ernstfall besser umgehen zu lernen, jedoch nur dann, wenn Sie körperlich gesund sind und von der Sinnhaftigkeit dieser Übungen überzeugt sind. Die Anwesenheit oder Mitmachbereitschaft einer Vertrauensperson kann dabei anfangs sehr unterstützend sein. 


Folgende Provokationsübungen können hilfreich sein: 

  • Beobachten Sie im Fall von herzbezogenen Ängsten eine Zeitlang Ihren Herzschlag. Denken Sie ganz bewusst daran, dass Ihr Herz einmal für immer zum Schlagen aufhören wird. Falls Sie damit Schwierigkeiten haben, sollte Ihnen klarwerden, dass Ihr Grundproblem nicht das unangenehm schnelle, starke oder unrhythmische Herzklopfen in agoraphobischen Situationen ist, sondern vielmehr die Endlichkeit Ihrer Existenz – ein Faktum, das Sie nicht einfach durch Vermeiden von gefürchteten Situationen oder die Einnahme von Beruhigungsmitteln bewältigen können. 


  • Steigern Sie durch Sport und Kaffeetrinken absichtlich den Herzschlag und den Blutdruck. Messen Sie während des Sports, etwa auf dem Hometrainer, sowie eine Viertelstunde danach Ihren Puls und Ihren Blutdruck und vergleichen Sie die erhobenen Werte. Je besser Ihr körperlicher Trainingszustand ist, umso rascher erreichen Sie den Normalwert. Die bewusste Aktivierung Ihres Herz-Kreislauf-Systems soll Ihnen helfen, in agoraphobischen Situationen besser damit umgehen zu können. 


  • Provozieren Sie Hitzegefühle und Schwitzen. Sport, andere körperliche Betätigungen, eine Sauna, zu warme Kleidung oder überhitzte Räume können Ihnen helfen, harmlose Hitzegefühle in agoraphobischen Situationen leichter tolerieren zu lernen. 


  • Provozieren Sie eine vorübergehende Atemnot durch Hyperventilation. Atmen Sie im Falle körperlicher Gesundheit eine Minute lang rasch durch den Mund ein und aus (45 bis 60 Atemzüge pro Minute) und tolerieren Sie die dabei auftretenden harmlosen körperlichen Zustände wie Pulsbeschleunigung, Ohrensausen, Mundtrockenheit oder Kribbelgefühle. Halten Sie danach absichtlich die Luft so lange an, bis der mächtige Einatemreflex ganz von allein einsetzt. Bedenken Sie: Das Engegefühl bei Agoraphobie wird durch äußerlich enge Situationen wie Aufzüge oder kleine Räume mit geschlossenen oder fehlenden Fenstern zwar ausgelöst, durch Ihr subjektives Engegefühl im Brustkorb oder Halsbereich jedoch sehr verstärkt. 


  • Provozieren Sie Schwindel- und Ohnmachtsgefühle. Stellen Sie sich bei verspannungsbedingtem Schwankschwindel mit geschlossenen Augen hin und spielen Sie im Geist durch, wie Sie in einer agoraphobischen Situation umfallen könnten. Lassen Sie sich danach an einem sicheren Ort ganz bewusst so fallen, wie Sie dies in bestimmten Situationen fürchten. Es fällt Ihnen schwer, absichtlich zu Boden zu gehen? Dann erkennen Sie: Umfallen ist gar nicht so einfach, wie Sie bisher immer geglaubt haben. Machen Sie bei anhaltenden Ängsten zu fallen ganz bewusst ein Falltraining, indem Sie sich langsam und sicher zu Boden fallen lassen, und üben Sie den sicheren Fall, wie dies Kampfsportler tun, um sich nicht zu verletzen. Lassen Sie sich so zu Boden fallen, wie Sie dies in der Öffentlichkeit befürchten, und finden Sie heraus, was daran so schlimm ist. Drehen Sie sich bei Drehschwindel eine Zeitlang im Kreis, um diesen besser tolerieren zu lernen. Gehen Sie in einem Raum ohne Hindernisse drei Minuten lang mit geschlossenen Augen umher, um Ihren Gleichgewichtssinn zu trainieren, ohne dass Sie dabei die Augen zur Orientierung einsetzen können, wie Sie dies sonst vielleicht oft unbewusst tun. 


  • Provozieren Sie Harndrang. Trinken Sie absichtlich eine größere Menge Flüssigkeit und schieben Sie den Gang zur Toilette eine Zeitlang hinaus. Sie sollen dabei die Erfahrung machen, dass die Blase auch in diesem Fall hält und nicht nur bei stressbedingtem Harndrang ohne vorherigem Trinken. Den Harn können Sie eine Zeitlang besser halten, wenn Sie sich bewegen, weil dadurch das sympathische und nicht das parasympathische Nervensystem aktiviert wird, das für die Ausscheidungsfunktionen zuständig ist. 


7.  Sich selbst coachen: Führen Sie hilfreiche Selbstgespräche. 

In subjektiv bedrohlichen Situationen werden wir von den tieferen, evolutionsgeschichtlich älteren Schichten unseres Gehirns gesteuert, und zwar den Gefühlszentren im limbischen System, namentlich dem Mandelkern. 

Nutzen Sie die Möglichkeiten des vorderen Stirnhirns, um Ihr Verhalten mithilfe Ihres Verstandes und Ihres Willens zu kontrollieren. Sprechen Sie in agoraphobischen Situationen innerlich mit sich selbst und sagen Sie sich immer wieder das vor, was Sie in ruhigen und entspannten Situationen ohnehin wissen und tun wollen, aber in Stresssituationen nicht so ohne weiteres umsetzen können. 


Folgende Ratschläge können hilfreich sein: 

  • Coachen Sie sich durch hilfreiche Selbstgespräche, wie etwa: „Ich schaffe, was ich mir vorgenommen habe“, „Es ist ein Zeichen von Stärke, seine Schwäche zuzulassen“, „Ich fürchte Peinlichkeit und Blamage wegen meiner Symptome, motiviere mich jedoch durch meine Angst, durch Flucht und Vermeidung etwas Wichtiges zu versäumen“, „Mir ist diese Sache sehr wichtig, daher möchte ich sie unbedingt erledigen“, „Ich habe diese Aufgabenstellung früher problemlos bewältigt, also kann ich sie auch heute schaffen“, „Was für andere nicht gefährlich ist, ist auch für mich nicht bedrohlich“, „Ich kann mit und trotz Angst erfolgreich sein“, „Es muss mir in Angstsituationen nicht gut gehen, Hauptsache ist, ich erreiche meine Ziele“, „Ich darf Angst haben, wenn ich etwas bislang Gefürchtetes mutig bewältigen möchte“, „Ich habe neben meinem ängstlichen Teil auch einen starken Teil in mir, auf den ich mich sicher verlassen kann“, „Ich spüre die Geborgenheit bei meinen engsten Bezugspersonen und schaffe es jetzt auch ohne sie.“ 


  • Halten Sie sich Ihre körperliche Gesundheit vor Augen, etwa so: „Ich weiß, dass ich laut medizinischer Untersuchung und ärztlicher Versicherung körperlich gesund bin, daher kann ich die gefürchteten Situationen ohne Schaden erfolgreich aufsuchen und aushalten“, „Alle auftretenden körperlichen und psychischen Symptome sind nur Ausdruck meiner Angst, Furcht und Panik, sie sind kein Anzeichen von Krankheit oder sonstiger realer Gefahr“, „Bei längerer sportlicher Betätigung und harter körperlicher Arbeit wird mein Körper viel stärker belastet als in agoraphobischen Situationen“, „Ich weiß aus vielfacher Erfahrung, was mein Körper in derartigen Situationen aushalten kann.“ 


  • Nutzen Sie die zehn wichtigsten Selbstinstruktionen, die zur Bewältigung von Agoraphobie entwickelt wurden: „Meine Angstgefühle und die dabei auftretenden körperlichen Symptome sind verstärkte normale Stressreaktionen. Ich bin und bleibe gesund trotz der körperlichen und psychischen Angstreaktionen. Ich schwäche meine Angstreaktionen, wenn ich mich im Hier und Jetzt auf etwas anderes konzentriere als auf mögliche Katastrophen in der Zukunft. Ich bleibe trotz Panikgefühlen in der Realität und beobachte und beschreibe, was ich momentan wirklich an meinem Körper und meiner Psyche erlebe. Ich warte in der Situation, bis die größte Angst nach kurzer Zeit vorübergeht. Ich beobachte, wann und wie die Angst von alleine wieder abnimmt. Ich gebe mir die Chance, einen Fortschritt zu machen, und stelle mich jeder Angstsituation ohne Vermeidung. Ich führe jede Übung bis zum Abschluss durch, um ein Erfolgserlebnis zu haben. Ich kann stolz sein auf meine bisherigen Bemühungen und Erfolge, auch auf die kleinsten. Ich nehme mir Zeit für die Übungen und gönne mir auch kurze Erholungsphasen, um dann mit mehr Kraft und Energie erfolgreich weiterzumachen.“ 


  • Nutzen Sie die Memofunktion Ihres Handys zur Motivationsstärkung. Halten Sie bestimmte Selbstcoaching-Anleitungen und persönliche Selbstinstruktionen sowie auch hilfreiche Worte einer Vertrauensperson als Memo auf Ihrem Handy fest und hören Sie diese in agoraphobischen Situationen immer wieder an, um Erfolgserlebnisse zu fördern. Sie können auch Texte dieses Ratgebers auf Ihrem Handy speichern. 


  • Führen Sie einen inneren Dialog zwischen Ihrem ängstlichen und Ihrem mutigen Teil. Angst kann Sie als ganze Person nicht mehr so wie bisher überfluten, wenn Sie diese nur als einen Teil in Ihnen sehen, dem ein mutiger und durchaus selbstbewusster Teil gegenübersteht. Sprechen Sie in Form Ihres mutigen Teils zu Ihrem ängstlichen Teil, ähnlich wie ein starker und selbstsicherer Vater ein ängstliches Kind beruhigt. Oder treten Sie in einen konstruktiven Dialog mit Ihrer Angst und sagen Sie Sätze wie: „Liebe Angst, komm ruhig her, du darfst mich wie mein Schatten begleiten in jeder Situation, die ich aufsuche, doch ich bestimme den Weg“, „Komm her, meine Panik, fege endlich über mich hinweg und lass mich dann in Ruhe meine Sachen erledigen.“ Wenn Sie Ihrer Angst direkt ins Angesicht blicken, ohne davonzulaufen, hat sie ihre Macht über Sie verloren. 

 

8.   Mental trainieren: Üben Sie erfolgreiches Handeln in der Vorstellung. 

Menschen mit Angststörungen können sich das, was sie fürchten, in den schlimmsten Farben ausmalen, haben jedoch keine Bilder und Erfolgsszenarien in ihrem Kopf parat, wie es nach den „Was wäre, wenn …?“-Katastrophenfantasien doch einigermaßen gut weitergehen könnte. Positives Denken allein ist zu wenig, um die Auswirkungen von Horrorszenarien auf das weitere Verhalten zu begrenzen. 


Nutzen Sie das bekannte Mentale Training – ein Handeln auf Probe im Geist – als eine Art „Trockentraining“ zur Vorbereitung auf agoraphobische Situationen. 

Mentales Training stärkt Ihre Motivation und Ihren Glauben an die erfolgreiche Bewältigung von Situationen, die Sie in der Realität bislang gemieden haben. 

Mithilfe bestimmter Vorstellungsübungen können Sie Erfolgserlebnisse vorbereiten und gefürchtete Krisensituationen besser bewältigen lernen. 

Folgende Vorstellungsübungen können hilfreich sein: 

  • Stellen Sie sich erfolgreiches Handeln in agoraphobischen Situationen vor. Schreiben Sie zu jeder gefürchteten Situation zuerst eine Art Drehbuch, wie Sie bei der tatsächlichen Konfrontation vorgehen möchten. Versetzen Sie sich dann in alle Situationen, die Sie aufsuchen möchten, mental hinein und spielen Sie alle Szenen im Auto, Bus, Zug, Flugzeug, Aufzug, Tunnel, Kino, Theater, Supermarkt sowie an allen anderen Orten möglichst bildhaft im Zeitlupentempo durch. Schließen Sie dabei die Augen und sprechen Sie alles laut in der Ich-Form und in der Gegenwartsform aus, was Sie gerade tun und erleben, also auch alle Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen. Vergegenwärtigen Sie sich mit Ihrer ganzen Vorstellungskraft, wie Sie in den gefürchteten Situationen erfolgreich handeln. Je besser Sie sich mithilfe des regelmäßigen Mentalen Trainings Ihr erfolgreiches Handeln in den bislang gefürchteten Situationen vorstellen können, umso leichter wird Ihnen dies auch in der Realität gelingen, weil Sie dabei durch die bildhaften Vorstellungen erfolgreichen Handelns unterstützt werden. Nehmen Sie jede Vorstellungsübung mit der Memofunktion Ihres Handys auf und hören Sie sich diese mehrfach an. Vergegenwärtigen Sie sich auch immer wieder Ihr erfolgreiches Handeln in früherer Zeit, als Sie Ihre gegenwärtigen Probleme noch gar nicht hatten. 


  • Bereiten Sie sich auf alle einigermaßen realistischen Bedrohungsszenarien mental vor. Machen Sie sich bewusst, was Sie in agoraphobischen Situationen am meisten fürchten und wie Sie am besten damit umgehen können, statt diese Ereignisse und Situationen weiter zu vermeiden, weil Sie damit sonst zukünftig immer weniger zurechtkommen. Stellt die „Angst vor draußen“, vor der Umwelt, vielleicht nur die „Angst vor drinnen“, vor der Welt des inneren Erlebens, dar? Dann sollten Sie bereits in der Vorstellung und nicht erst in der Realität vor allem folgende, häufig gefürchtete Erfahrungen besser bewältigen lernen: Panikattacken, panikartige Symptome, Ohnmachts-, Schwäche- und Hilflosigkeitsgefühle sowie soziale Auffälligkeit und Peinlichkeit. Halten Sie sich bei völlig unrealistischen Worst-Case-Szenarien, wie etwa hilflos, einsam und verlassen sterben zu müssen, vor Augen, dass durch Ihre Agoraphobie zwar wichtige existenzielle und spirituelle Probleme angesprochen werden, die Sie aber mithilfe einer Konfrontationstherapie niemals lösen können, sodass diesbezüglich andere Strategien erforderlich sind.  


9.  Mutig konfrontieren: Stellen Sie sich in der Realität allen gefürchteten Situationen, um positive Erfahrungen zu machen. 

Die reale, direkte Konfrontation mit angstmachenden Orten und Situationen stellt den „Königsweg“ der Agoraphobie-Behandlung dar. 

Die Betroffenen sollen die Erfahrung machen, dass sie ihre Angstsymptome aushalten können, ihre Befürchtungen sich nicht bewahrheiten und ihre Furcht in der Regel nach einiger Zeit abklingt. 

Auf diese Weise wird das Vertrauen in ihre Fähigkeiten gestärkt, in angstmachenden Situationen kompetent handeln zu können. Das oberste Ziel ist jedoch die Verbesserung der Funktionsfähigkeit mit dem Ziel der Befriedigung der zentralen Grundbedürfnisse. 

Eine verhaltenstherapeutisch fundierte Konfrontationstherapie ist die erfolgreichste Methode zur Behandlung einer Agoraphobie.

Die Wirksamkeit der Konfrontationstherapie wurde bislang durch fünf Konzepte zu erklären versucht, die mit Ausnahme der zwei letztgenannten durchaus auch ihre Schwächen haben:

  • Die Habituation im Sinn einer Gewöhnung an angstmachende Situationen nach längerer und wiederholter Konfrontation senkt das Angstniveau und die spätere ängstliche Erwartungshaltung. 


  • Die Hemmung der Angstreaktion (Gegenkonditionierung) durch Umstände, die mit Angst nicht oder nur schwer vereinbar sind, wie etwa gleichzeitige Entspannung oder Wohlbefinden durch die Nähe von Vertrauenspersonen, schwächt die Angstreaktion. 


  • Die emotionale Verarbeitung von Angst und Furcht durch die maximale Aktivierung der aufgebauten Furchtstruktur mit der anschließenden Erfahrung der Ungefährlichkeit der körperlichen Symptome senkt die Angstreaktion in agoraphobischen Situationen. Dieses Modell gilt als Grundlage für die massierte Konfrontationstherapie (Fachausdruck: Flooding). 


  • Extinktion und inhibitorisches Lernen im Sinn neuer und positiver Lernerfahrungen überlagern und hemmen die alten konditionierten Angstreaktionen in bislang gefürchteten Situationen, ohne dass diese tatsächlich gelöscht werden, das heißt, das Erfolgsgedächtnis wirkt zukünftig stärker als das Angstgedächtnis. 


  • Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, das heißt, der Zuwachs von Kompetenz durch Erfolgserlebnisse und die damit verbundene Erfahrung von Einfluss und Kontrolle, mindern schrittweise ängstliche Erwartungen, Angsterleben und Vermeidungsverhalten. 

 

Habituation als sukzessive körperliche Gewöhnung allein reicht nicht aus, um agoraphobische Ängste dauerhaft zu überwinden.

Extinktion ist wirksamer: Positive Erfahrungen hemmen in agoraphobischen Situationen die Flucht- und Vermeidungsreaktion, führen zu positiven Erwartungen und stärken das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Starke panikartige Furcht wird auch durch die massierte Konfrontationstherapie nicht gelöscht, bei der man die größtmögliche Furcht durch rasches und langdauerndes Aufsuchen der am meisten gefürchteten Situationen provoziert, sonst könnten in bestimmten Fällen wie etwa großem Stress nicht immer wieder Rückfälle auftreten. 

Zur Selbstbehandlung eignet sich am besten die gestufte (schrittweise) Konfrontationstherapie, bei der die persönliche Kontrolle und die Autonomie gewahrt bleiben. 

Eine ausführliche Darstellung erfolgt in meinem Ratgeber „Wenn Platzangst das Leben einengt. Agoraphobie bewältigen. Ein Selbsthilfeprogramm“. 


Folgende Ratschläge können hilfreich sein: 

  • Halten Sie vor der Konfrontationstherapie Rücksprache mit Ihrem Haus- oder Facharzt. Eine eigenständige Konfrontationstherapie sollten Sie nur dann angehen, wenn Sie körperlich gesund sind und auch keine andere ausgeprägte psychische Störung haben, wie etwa eine schwere Depression, eine Psychose oder eine Substanzabhängigkeit. Mit ärztlicher Hilfe sollten Sie längere Zeit eingenommene Beruhigungsmittel (Tranquilizer) vorher langsam ausschleichen, Antidepressiva jedoch weiterhin einnehmen, wenn diese nicht primär wegen der Agoraphobie verordnet wurden. 


  • Erstellen Sie eine Liste aller geplanten Übungsaufgaben und gehen Sie nach einem schrittweisen Behandlungsplan vor. Erstellen Sie zuerst eine Angsthierarchie, das heißt eine Auflistung aller Situationen von den leichtesten bis zu den schwierigsten. Entwickeln Sie danach auf der Basis motivierender Behandlungsziele ganz konkrete Aufgabenstellungen und setzen Sie diese am besten nach ansteigendem Schwierigkeitsgrad Schritt für Schritt um. Die Unterscheidung zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Zielen ermöglicht Ihnen rasche Anfangserfolge, die Sie im Laufe der Zeit zu immer schwierigeren Aufgabenstellungen anspornen werden. Sie können aber auch mit schwierigeren Konfrontationsübungen beginnen, wenn diese für Sie besonders bedeutsam und daher stärker motivierend sind. 


  • Konzentrieren Sie sich im Rahmen der Konfrontationstherapie auf erfolgreiches Handeln und nicht auf den Angstabfall. Akzeptieren Sie Ihre Angst und Furcht, ohne dagegen anzukämpfen. Es ist für eine erfolgreiche Angstbewältigung nicht entscheidend, dass Sie am Ende der Übungen weniger Angst und Furcht haben oder zumindest einen Angstabfall nach 10 bis 30 Minuten im Sinn einer Gewöhnung (Fachausdruck: Habituation) erleben (auf einer zehnstufigen Skala bedeutet dies ein Angstniveau von 3–4), wie dies bei traditionellen Konfrontationstherapien angestrebt wird, sondern dass Sie die Erfahrung machen, mit und trotz Angst und Furcht erfolgreich handeln zu können, um Ihre Ziele zu verwirklichen. Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit nach außen, auf alles, was Sie motiviert, Ihre Ziele zu erreichen. Neuere verhaltenstherapeutische Konzepte, wie sie in meinem Agoraphobie-Ratgeber beschrieben sind, verzichten auf die Maximierung von Angst und Furcht und die Demonstration des nachfolgenden Angstabfalls zugunsten von positiven Lernerfahrungen in bislang gefürchteten Situationen. Man kann auch mit Angst und Furcht erfolgreich handeln und muss nicht warten, bis zuerst Angst und Furcht abgenommen haben. Es geht in erster Linie darum, neue Lernerfahrungen aufzubauen, die die bisherigen Angstreaktionen hemmen, sodass langfristig das Erfolgsgedächtnis stärker wird als das Furchtgedächtnis. Das Motto lautet: „Je erfolgreicher Sie sind, umso weniger Angst werden Sie haben“, und nicht umgekehrt: „Je weniger Angst Sie haben, umso erfolgreicher werden Sie sein.“ 


  • Konfrontieren Sie sich mit zahlreichen unterschiedlichen Situationen, um die Erfolgserlebnisse zu festigen und mögliche Rückfälle zu vermindern. Die Konfrontationstherapie sollte mit leichteren oder hochmotivierenden Aufgabenstellungen beginnen, um rasch beeindruckende Erfolgserlebnisse zu erreichen. Variieren Sie persönlich bedeutsame Aufgabenstellungen nach dem Grundsatz, was Sie sich momentan zutrauen und was Ihnen im Augenblick am wichtigsten wichtig ist: Verweilen Sie anfangs kurz und dann immer länger in bislang gefürchteten Situationen wie geschlossenen und engen Räumen, kleinen und großen Geschäften, unterirdischen Gängen, Aufzügen, Hochhäusern, halbleeren und vollbesetzten Veranstaltungssälen (z.B. Kino-, Konzert- und Theatersaal), überfüllten Fußgängerzonen, Massenveranstaltungen im Freien und halboffenen Stadien. Fahren Sie im Laufe der Zeit – anfangs mit Unterstützung von Vertrauenspersonen – immer weitere Strecken mit dem eigenen Auto und öffentlichen Verkehrsmitteln, vor allem auch mit der U-Bahn in Großstädten, mit der Seilbahn auf Bergen und mit dem Schiff auf einem See bzw. dem Meer, entfernen Sie sich zunehmend weiter von zu Hause, bis hin zu Flugreisen ins Ausland. Dokumentieren Sie alle Aufgabenstellungen und Erfolgserlebnisse in Ihrem Angsttagebuch nach Zeit, Ort, Art und Dauer der Übung, aber auch Ihr jeweiliges Befinden vor, während und nach der Konfrontationstherapie. 


  • Gestatten Sie sich anfangs bestimmte Erleichterungen und Hilfsmittel, um dadurch rascher Ihre Ziele zu erreichen. Nutzen Sie zuerst, bevor Sie sich später ganz auf sich selbst verlassen, für den Bedarfsfall verschiedene Sicherheitsstrategien, etwa eine Vertrauensperson an Ihrer Seite oder ein Beruhigungsmittel bzw. das Handy in der Tasche. Im Rahmen einer Verhaltenstherapie stellt die anfängliche Begleitung durch die Therapeutin eine wesentliche Erleichterung der Konfrontationstherapie dar, weil dadurch das Grundbedürfnis nach emotionaler Sicherheit und verlässlicher Bindung ebenso befriedigt wird wie durch die Anwesenheit des Partners oder der Freundin. Selbst die Einnahme eines Antidepressivums und nicht nur eines Beruhigungsmittels geht nach meinen langjährigen therapeutischen Erfahrungen bereits mit einem Placeboeffekt einher, nach dem Motto: „Ich schaffe diese Übungsaufgabe, weil mich ein ärztlich verordnetes Medikament dabei unterstützt.“ Wählen Sie zwecks rascherer Fortschritte kleinere Zwischenziele und leichtere Aufgaben, wenn die ursprünglichen Ziele und Ansprüche zu hochgesteckt waren. 


  • Erlauben Sie sich jederzeit die vorübergehende Flucht aus der belastenden Situation. Bleiben Sie allerdings, wenn möglich, so lange an dem belastenden Ort, bis Ihre Angst, Furcht und Panik ganz von allein nachlassen, weil Ihre Neugierde und Ihre positiven Erfahrungen in der jeweiligen Situation zugenommen haben. Das gelingt Ihnen umso leichter, je mehr Sie sich auf das konzentrieren, was Sie unbedingt erleben und erreichen wollen, und nicht auf das, was Sie mit allen Mitteln um jeden Preis verhindern oder vermeiden möchten. Bedenken Sie: Angst lebt von der Vermeidung. Halten Sie sich vor jeder Fluchtneigung Ihre bisherigen Erfolge und Ihre zukünftigen Ziele vor Augen. Suchen Sie die angstmachende Situation bald wieder auf, wenn Sie die Flucht ergriffen haben, um in Ihrem Gehirn letztlich doch ein Erfolgserlebnis zu speichern. Das befriedigte Grundbedürfnis nach Autonomie und Kontrolle, nach Wahlmöglichkeit und Entscheidungsfreiheit, ist für viele Menschen mit einer Agoraphobie zur langfristigen Überwindung ihrer Störung wichtiger als die frühere Handlungsanleitung, die Angstsituation auf keinen Fall zu verlassen, weil die Angst dann immer mehr ausufern könnte. Die grundsätzliche Erlaubnis zu einer vorübergehenden Flucht in Situationen, die man wegen deren Bedeutsamkeit unbedingt aufsuchen möchte, senkt bereits die Erwartungsangst und später auch die körperliche Anspannung in der Angstsituation. 


  • Festigen Sie Ihre Erfolgserlebnisse durch verschiedene Strategien. Führen Sie alle Übungsaufgaben in unterschiedlichen Situationen, zu verschiedenen Zeitpunkten, unabhängig von Ihrer Befindlichkeit und zunehmend auch allein und ohne Hilfsmittel durch. „Übung macht den Meister“: Regelmäßiges Üben bewirkt eine Generalisierung Ihrer Erfolge auf viele Bereiche Ihres Lebens und schafft im Laufe der Zeit selbstverständliche Gewohnheiten. Angesichts eines chronischen Vermeidungsverhaltens geht es um neue Gewohnheitsbildungen. Alles, was Sie nur selten machen, wie Fliegen, bereitet mehr Aufregung als tägliches Autofahren, das objektiv gesehen viel gefährlicher ist. Üben Sie bevorzugt am Vormittag, weil aufgrund des erhöhten Kortisolspiegels alle Erfolgserlebnisse in Ihrem Gehirn besser gespeichert werden. Üben Sie auch nach Rückschlägen, ohne sich dadurch entmutigen zu lassen. Bleiben Sie bei Angst und Panik gedanklich ganz im Hier und Jetzt, ohne Horrorfantasien, was im schlimmsten Fall passieren könnte, und lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit bei starker Angst und Panik auf die Umwelt statt auf Ihren Körper. Nutzen Sie bei Angst vor Panikattacken körperbezogene Strategien, wie diese bei der Panikstörung beschrieben werden. 


  • Kämpfen Sie nicht gegen Ihre Angst, sondern für die Verwirklichung Ihrer Werte und Ziele. Lassen Sie sich auf keinen kraftraubenden Kampf gegen Ihre Furcht ein, die von den tieferen Schichten Ihres Gehirns gesteuert wird. Akzeptieren Sie Ihre Angst, Furcht und Panik als derzeit in bestimmten Situationen gegeben und steuern Sie Ihr Verhalten mithilfe Ihres Frontalhirns in die gewünschte Richtung. Sie können auch mit und trotz Angst erfolgreich handeln, wenn Sie Ihre Grundbedürfnisse und deren Befriedigung in den Mittelpunkt stellen, sich auf Ihre zentralen Werte besinnen und von attraktiven Zielen beflügelt werden. Die Angst ist nicht Ihr Feind, den Sie zuerst besiegen müssen, bevor Sie ein sinnvolles und erfülltes Leben führen können. Das frühere, gut gemeinte Motto „Wenn Sie mehrfach den raschen Angstabfall in agoraphobischen Situationen erlebt haben, fürchten Sie sich nicht mehr so wie früher vor Panikattacken oder panikartigen Symptomen“ kann langfristig zu einer ähnlich schädlichen Sicherheitsstrategie werden wie ein Beruhigungsmittel in Ihrer Tasche oder eine Vertrauensperson an Ihrer Seite. Derartige therapeutische Versprechungen verstärken die krank machenden Sichtweisen vieler Menschen mit Agoraphobie, dass im Leben alles viel leichter wäre, wenn Angst und Furcht zumindest weniger oder am besten überhaupt nicht vorhanden wären. Das hilfreiche Gegenteil von Angst ist nicht keine Angst, sondern Vertrauen in Ihre Fähigkeiten, in unsicheren und unerwarteten Situationen aus eigener Kraft zurechtzukommen und Ihre Ziele umsetzen zu können, aber auch Mut, trotz Angst und Furcht wichtige und persönlich bedeutsame Orte bzw. Situationen aufzusuchen. 

 

10.  Gefühle und Beziehungsprobleme bewältigen: Finden Sie Lösungen für die tieferen Hintergründe Ihrer Ängste. 

Eine Agoraphobie ist oft ein falscher Problemlösungsversuch, der das ursprüngliche Problem im Laufe der Zeit noch verschlimmert. 

Häufig bestehen nicht nur wegen der Agoraphobie und der damit verbundenen zwischenmenschlichen Belastungen bzw. Abhängigkeit von engen Bezugspersonen, sondern auch aus anderen Gründen erhebliche Konflikte in der Partnerschaft, Familie oder Berufssituation, aber auch Konflikte innerhalb der eigenen Person hinsichtlich bestimmter Einstellungen, Gefühle, Werte und Ziele. 


Folgende Ratschläge können hilfreich sein: 

  • Bewältigen Sie vorhandene Probleme in der Partnerschaft oder Familie als Ursache bzw. Verstärker Ihrer Agoraphobie. Wieviel Ärger, Frust und Enttäuschung bestimmt Ihr partnerschaftliches bzw. familiäres Leben? Was macht Sie traurig oder „ohnmächtig vor Wut“? Arbeiten Sie an der nötigen Beziehungsverbesserung oder machen Sie eine Einzel-, Paar- oder Familientherapie. 


  • Entwickeln Sie mehr Autonomie und Unabhängigkeit von zentralen Bezugspersonen. Setzen Sie zunehmend mehr Aktivitäten ohne Ihren Partner als Vertrauensperson an Ihrer Seite, falls Sie grundsätzlich mit sich allein wenig anfangen können oder über die Agoraphobie zu sehr von Ihrem Partner abhängig geworden sind.


  • Klären Sie berufliche Konfliktsituationen. Eine Agoraphobie mit oder ohne Panikstörung hängt oft mit Arbeitsplatzproblemen zusammen. Sind Sie mit der Arbeit oder dem beruflichen Umfeld unzufrieden? Droht ein Burn-out, wenn Sie so weitermachen wie bisher? Dann verstehen Sie Ihre Symptome als Alarmzeichen, dass Sie mehr verändern müssen als nur Ihre Agoraphobie. 


  • Stellen Sie sich vor, Ihre Agoraphobie wäre über Nacht plötzlich verschwunden. Welche anderen Probleme könnten dann unvermittelt zutage treten, die Sie aufgrund Ihrer Agoraphobie derzeit völlig ausgeblendet haben? Vor welchen ganz normalen Lebensproblemen könnte Ihre Agoraphobie Sie momentan schützen? Man spricht von  primärem Krankheitsgewinn, wenn eine psychische Störung trotz der persönlichen Belastungen insgesamt mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringt, und von sekundärem Krankheitsgewinn, wenn dadurch eine kurzfristig vorteilhafte Behandlung und wohltuende Beziehungssteuerung in der sozialen Umwelt erreicht wird, die sonst nicht möglich wäre, wie etwa dass der gesunde Partner über die Agoraphobie stark eingeengt wird und nichts mehr allein unternehmen darf, weil er die agoraphobische Person überall hin begleiten muss. 

 

 

Gesundes Vermeidungsverhalten beachten: Gehen Sie Schritt für Schritt vor, ohne sich zu überfordern 

 

Von vielen Experten und Verhaltenstherapeutinnen wird unter Verweis auf Studien die sogenannte massierte Konfrontationstherapie (Fachausdruck: Flooding) als die erfolgreichste und am schnellsten wirksame Methode der Behandlung einer Agoraphobie empfohlen.

Dabei konfrontieren sich die Betroffenen von Anfang an mit den am meisten gefürchteten Orten und Situationen mehrere Stunden pro Tag sowie mehrere Tage hintereinander mit dem Ziel, möglichst schnell eine Gewöhnung (Fachausdruck: Habituation) im Sinn eines raschen und anhaltenden Angstabfalls nach 10 bis 30 Minuten zu erreichen. 

Die meisten Menschen mit einer Agoraphobie sind aus verständlichen Gründen dazu allein nicht in der Lage, sodass es sich hier um ein Verfahren handelt, das üblicherweise im Rahmen einer Verhaltenstherapie eingesetzt wird, bei der der Psychotherapeut die Patientin anfangs in den schwierigsten Situationen begleitet, in bestimmten therapeutischen Settings sogar eine Flucht verhindert (was ich strikt ablehne), sich später zurückzieht und die weitere Konfrontationstherapie in der Psychotherapiestunde „supervidiert“. 


Erwarten Sie keine Wunderheilung für immer, selbst bei großem Mut zu einer eigenständigen massierten Konfrontationstherapie. Es ist erwiesen, dass auch nach einer massierten Konfrontationstherapie mit erfolgreicher Habituationserfahrung in Bezug auf Panikattacken und massive Zustände von Angst und Furcht unter bestimmten Umständen wie großem psychosozialen Stress oder völlig anders gearteten Situationen als bisher relativ leicht Rückfälle auftreten können. 


In der 1990er-Jahren habe ich in der stationären Psychiatrie jahrelang die massierte Konfrontationstherapie aus Überzeugung bei den Betroffenen eingesetzt. Meine therapeutischen Erfahrungen haben mir im Laufe der Zeit die Grenzen dieser Methode aufgezeigt, sodass ich diese Vorgangsweise in meiner Praxis zugunsten der gestuften Konfrontationstherapie aufgegeben habe.

Ich habe erkannt, dass die massierte Konfrontationstherapie letztlich nicht auf dem Effekt der Habituation, sondern auf dem befriedigten Grundbedürfnis nach Bindung und Geborgenheit beruht, das heißt auf dem Vertrauen der Betroffenen zu mir als wertgeschätzter Person und als kompetentem Psychotherapeuten, egal ob ich die Betroffenen in agoraphobischen Situationen begleite und unterstütze oder „nur“ in der Therapiestunde Vertrauen-erweckend und Selbstwert-stärkend coache. 


Es hat mich auch sehr nachdenklich gemacht, ob es wirklich die psychische Gesundheit fördert, wenn die Betroffenen auf meine Anweisung hin sofort eine vorher allein unmöglich erscheinende Aufgabenstellung bewältigen können, indem sie die Verantwortung dafür an mich als Experten abgeben. 

Häufig stellte sich heraus: Mir zuliebe wurden alle Übungsaufgaben willig und erfolgreich ausgeführt, später waren dieselben Aufgabenstellungen jedoch nicht wichtig genug für die persönliche Lebensgestaltung, sodass bestimmte Konfrontationsübungen in Eigenregie nicht mehr fortgeführt wurden. 

In neuerer Zeit haben zwei Entwicklungen in der Verhaltenstherapie, aber auch bestimmte Erkenntnisse in der Neurobiologie, die Bedeutsamkeit der Habituation für eine erfolgreiche Angstbewältigung grundsätzlich infrage gestellt, wie ich in meinem Buch „Wenn Platzangst das Leben einengt. Agoraphobie bewältigen. Ein Selbsthilfeprogramm“ ausführlich dargelegt habe:

  • Die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) – eine verhaltenstherapeutische Variante der Achtsamkeitstherapie – stellt die Verwirklichung der persönlichen Werte und der daraus abgeleiteten Ziele mit und trotz Angst in den Mittelpunkt der Behandlung, und zwar ohne Vermeidungs- und Kontrollstrategien. 


  • Neuere lerntheoretische und neurobiologische Erkenntnisse betonen die Notwendigkeit, in gefürchteten Situationen unabhängig vom Ausmaß der vom limbischen System gesteuerten Furchtreaktion positive Erfahrungen zu machen, die die früheren negativen Erlebnisse zwar nicht löschen, aber in ihrer weiteren Wirksamkeit hemmen, nach dem Motto: „Das Erfolgsgedächtnis hemmt das Angstgedächtnis.“ 

 

Folgende Ratschläge sollen Sie vor Überforderung bewahren:


  • Seien Sie weniger streng mit sich selbst, aber dennoch sehr konsequent bei der Umsetzung Ihrer Ziele. Unterbrechen Sie die gestufte Konfrontationstherapie im Fall einer gewissen Lustlosigkeit, einer erheblichen Depression oder einer leichten körperlichen Erkrankung, weil dadurch letztlich kein Erfolgserlebnis, sondern nur eine Erschöpfung oder sogar eine Befindlichkeitsverschlechterung bewirkt wird. 


  • Gönnen Sie sich neben vorübergehender Flucht zur Regeneration auch sonst kürzere Pausen und Entspannungszeiten. Auf diese Weise können Sie die gemachten positiven Erfahrungen in Ihrem Gehirn besser abspeichern. Achten Sie weiters auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr und angemessene, gesunde Ernährung. 


  • Unternehmen Sie alles, was hilfreich ist, um Ihre Stimmung zu verbessern. In diesem Fall üben Sie nicht nur mit mehr Freude, sondern Sie speichern die neuen Lernerfahrungen im Gehirn auch viel effektiver ab. Machen Sie die schwierigsten Konfrontationsübungen immer dann, wenn Sie gut gelaunt sind. 


  • Verzichten Sie ganz bewusst auf die Konfrontation mit allem, was Ihnen derzeit nicht so wichtig ist. Anderenfalls machen Sie sich nur einen unnötigen Stress. Das Konzept der Angstfreiheit ist ein Mythos und kein realistisches Ziel für ein psychisch gesundes Leben. Auch andere Mitbürger – sogar viele erfolgreiche Menschen und bekannte Persönlichkeiten – haben diverse Ängste und kleinere Phobien, akzeptieren diese jedoch als ihre persönlichen Eigenheiten, ohne sie als Makel zu betrachten. 

 

 

Krank machendes Kontrollverhalten unterlassen: Verzichten Sie sukzessive auf alle Hilfsmittel und verlassen Sie sich auf selbst 

 

Es ist durchaus normal und oft auch hilfreich, sich im Rahmen einer Agoraphobie vorübergehend auf bestimmte Psychopharmaka und alle möglichen sonstigen Hilfsmittel zu verlassen, um nach außen hin die schulische, berufliche, familiäre, soziale und private Funktionsfähigkeit zu gewährleisten, statt ohne „Krücken“ den ganzen Tag nur zu Hause zu verbringen, aus Angst vor diversen körperlichen und psychischen Symptomen, mit denen man nicht optimal umgehen kann. 

Bestimmte Sicherheitsstrategien, wie etwa Medikamente, pflanzliche Mittel, Handy, Vertrauenspersonen oder Sitzpositionen mit sofortiger Fluchtmöglichkeit, können vorübergehend helfen, um wieder mehr am Leben teilzunehmen, positive Erfahrungen in agoraphobischen Situationen zu machen und diese im Gehirn als Erfolgserlebnisse abzuspeichern. 

Deshalb ermutige ich Sie, kurzfristig mithilfe dieser Sicherheitsstrategien nach außen hin zu funktionieren, als ohne derartige Mittel zu versagen. In diesem Sinn können anfangs auch verschiedene Atemtechniken hilfreich sein, doch später sollten Sie wieder Ihrer ganz normalen Atmung vertrauen lernen. 

Je mehr Sie sich im Laufe der Zeit auf Ihre Sicherheitsstrategien und nicht mehr auf Ihre eigenen Möglichkeiten verlassen, umso mehr werden Sie von diesen psychologisch abhängig – oder sogar körperlich, wenn Sie bestimmte Beruhigungsmittel (Tranquilizer aus der Gruppe der Benzodiazepine) länger als zwei bis drei Monate regelmäßig einnehmen. Verzichten Sie auch auf Alkohol, pflanzliche und homöopathische Mittel als Mittel der Angstbewältigung. 

Sind Sie ein „Kontrollfreak“, der alles unter Kontrolle haben muss, und zwar auch sich selbst, seine Gefühle, seine körperliche Befindlichkeit und sein sichtbares Verhalten, auch wenn dies zunehmend nur mehr mit Hilfsmitteln und Tricks gelingen sollte?

Krücken sind dazu da, um wieder selbst gehen zu lernen – außer Sie müssen mit einer bleibenden Behinderung leben.

Verlassen Sie sich aufgrund von positiven Erfahrungen in agoraphobischen Situationen zunehmend auf sich selbst, um auf diese Weise das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu stärken, das heißt das Vertrauen auf Ihre eigenen Kräfte und Fähigkeiten. 

Es ist eine traurige Realität: Viele Menschen mit Agoraphobie hatten ursprünglich ein hohes Grundbedürfnis nach Kontrolle und Autonomie und werden im Laufe der Monate und Jahre zunehmend abhängig von ihren Sicherheitsstrategien, ohne die sie nicht mehr das Haus verlassen. 

Bestimmte Sicherheitsstrategien können Ihnen vorübergehend helfen, den unsichtbaren Kerker der Agoraphobie zu durchbrechen, doch möchten Sie zukünftig wirklich dauerhaft an der unsichtbaren Leine diverser Hilfsmittel durchs Leben gehen? 

Die Befriedigung der Grundbedürfnisse nach körperlichem Wohlbefinden sowie nach Schutz, Bindung und Geborgenheit bei Vertrauenspersonen in agoraphobischen Situationen bringen Sie langfristig immer mehr in Konflikt mit zwei anderen Grundbedürfnissen. 

Wie wichtig ist Ihnen die Befriedigung Ihres Grundbedürfnisses nach Selbstwerterhöhung, indem Sie gefürchtete Situationen aus eigener Kraft bewältigen lernen? 

Welche Bedeutung hat in Zukunft Ihr Grundbedürfnis nach Kontrolle und Autonomie, das heißt Ihr Wunsch, von nichts und niemandem abhängig sein zu wollen? 

Die Ursachen für eine Agoraphobie mögen völlig unterschiedlich sein, doch die Faktoren, die sie im Laufe der Zeit zunehmend aufrechterhalten, sind bei allen Betroffenen dieselben: 

  • ein übermäßiges Bedürfnis nach maximaler Kontrolle in allen möglichen Situationen, selbst dort, wo nur ein minimales Restrisiko besteht, 
  • ein unverzichtbarer Wunsch nach Flucht oder Vermeidung von Situationen für den Fall, dass alle Tricks und Kontrollstrategien keine hundertprozentige Sicherheit garantieren,
  • ein völlig überzogenes Bedürfnis nach körperlichem Wohlbefinden in Situationen, in denen andere Menschen trotz etwas Angst, Furcht und Unwohlsein im Interesse ihrer Werte und Ziele erfolgreich handeln können. 


Handlungsmotivierende Bedürfnisse, Werte und Ziele reduzieren dagegen Angst und Furcht vor und in phobischen Situationen, wie mittlerweile in zahlreichen Studien festgestellt wurde. 

 

 

Krank machendes Vermeidungsverhalten überwinden: Vermeiden Sie nichts aus unberechtigter Angst vor Symptomen und Situationen 

 

Neben langfristig schädlichen Kontrollstrategien führen vor allem auch anhaltende Flucht- und Vermeidungstendenzen zur Chronifizierung einer Agoraphobie, bis hin zu depressiven Reaktionen als Folge mangelnder positiver Erlebnisse in an sich gewünschten Situationen. 


Folgende Ratschläge können hilfreich sein: 

  • Stellen Sie sich im Laufe der Zeit allen für Sie bedeutsamen Angstsituationen. Suchen Sie nach Vermeidungs- und Fluchtreaktionen alle agoraphobischen Orte und Situationen sukzessive wieder auf, die für Sie von großer Bedeutung sind. Was macht bestimmte Situationen eigentlich schwieriger und belastender als andere? Welche Rolle spielen dabei bestimmte, objektiv harmlose, subjektiv jedoch lästige oder peinliche körperliche Symptom, die Sie selbst als Schwäche oder Makel erleben, auch wenn die anderen Menschen dies gar nicht so sehen? Unterscheiden Sie nicht so sehr zwischen leichteren und schwierigeren agoraphobischen Situationen, wie dies üblicherweise den Betroffenen empfohlen wird, um dann mit den leichteren Übungsaufgaben zu beginnen, sondern beginnen Sie mit jenen Aufgabenstellungen, die mit der Befriedigung bestimmter Grundbedürfnisse und der Orientierung an Ihren wichtigsten Wertvorstellungen zusammenhängen. Als Christin sollten Sie bald wieder alle Kirchen aufsuchen können, als ehemalige Kunst- und Kulturabonnentin sollten Sie wieder Opernhäuser, Theater und Museen besuchen können; als früher sehr sportlicher Mensch sollten Sie wieder Waldläufe absolvieren und weitere Strecken mit dem Rad fahren können; als begeisterter und rasanter Autofahrer sollten Sie wieder auf allen Autobahnen und durch alle Tunnel fahren können, um Ihre beruflichen und privaten Ziele schnellstmöglich zu erreichen; als leidenschaftlicher Schifahrer sollten Sie wieder mit allen Seilbahnen zu den besten Pisten auf den höchsten Bergen fahren können; als mehrsprachiger Mensch sollten Sie bald wieder europäische Länder wie Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien aufsuchen können, falls Sie nicht wie früher lieber gleich nach Nordamerika oder Asien fliegen möchten; als geselliger und kontaktfreudiger Mensch sollten Sie jenen Bekannten und Freundinnen, die Sie besucht haben, bald einen Gegenbesuch abstatten können, auch wenn diese weit außerhalb Ihres momentanen Aktionsradius wohnen. 


  • Unterscheiden Sie zwischen Ihrer Angst vor bestimmten Situationen und Ihrer Angst vor den eigenen Symptomen. Sie können Ihr Vermeidungsverhalten schon allein dadurch rasch vermindern, dass Sie sich vor Augen halten, wie viele Orte und Situationen Sie letztlich nur aus Angst vor Ihren eigenen körperlichen und psychischen Symptomen vermeiden. Sobald Sie Ihre Symptome weder mit allen Mitteln kontrollieren noch um jeden Preis vermeiden möchten, werden Sie ganz automatisch wieder die Attraktivität der bislang gefürchteten Orte und Situationen in den Mittelpunkt Ihres Denkens, Fühlens und Verhaltens stellen.