Spezifische Phobien: Furcht vor bestimmten Objekten, Orten oder Situationen 

„Seit ich einmal ohnmächtig wurde, fürchte ich jede Spritze.“ 


Herr Weber, heute 29 Jahre, wurde mit 17 Jahren einmal kurz ohnmächtig, als er beim Hausarzt eine Spritze erhalten sollte. Von da an fürchtet er Injektionen, Infusionen, Narkosen, Operationen, Blutspenden und ganz allgemein alle medizinischen Behandlungseinrichtungen. 

Er sollte schon längst zum Zahnarzt gehen, kann sich jedoch aus Angst davor nicht dazu überwinden. Eine kleinere Operation in einer Tagesklinik ist ebenfalls erforderlich, er verschiebt jedoch ständig den Termin. So weit es geht, vermeidet er auch Besuche in Krankenhäusern. 

Herr Weber kann sich aus Angst vor Übelkeit und Ohnmachtsgefühlen auch keine medizinischen Informationssendungen im Fernsehen anschauen, wenn Blut, Spritzen oder Operationen gezeigt werden, obwohl er inhaltlich durchaus daran interessiert ist. 


Er hat keine anderen belastenden Ängste und fürchtet sich als aktiver Sportler auch nicht vor sonstigen körperlichen Reaktionen, sodass er selbst nicht versteht, warum er sich trotz seines Willens und seines Wissens um die Ungefährlichkeit bestimmten medizinnahen Situationen nicht stellen kann.  

 

 

Fürchten Sie Spinnen, Hunde, Gewitter, Spritzen, Blut, Dunkelheit, Liftfahren oder Fliegen? 

 

1.  Fürchten Sie sich in belastendem Ausmaß vor einem bestimmten Objekt oder einer bestimmten Situation (außerhalb einer Agoraphobie und außerhalb einer sozialen Phobie)?  
2.  Vermeiden Sie beharrlich solche Objekte und Situationen (außerhalb einer Agoraphobie und außerhalb einer sozialen Phobie)?   

3. Erlebten Sie in den gefürchteten Situationen mindestens einmal seit dem Auftreten der Phobie folgende Angstsymptome? 
 

  • Herzrasen, Herzklopfen oder erhöhte Herzfrequenz 
  • Schweißausbrüche 
  • Fein- oder grobmotorisches Zittern 
  • Mundtrockenheit  
  • Atembeschwerden 
  • Beklemmungsgefühl 
  • Schmerzen oder Missempfindungen in der Brust 
  • Übelkeit oder Missempfindungen im Bauchraum (z.B. Unruhegefühl im Magen) 
  • Gefühl von Schwindel, Unsicherheit, Schwäche oder Benommenheit 
  • Gefühl, dass Sie weit entfernt sind, nicht „wirklich hier sind“, „neben sich stehen“ (Depersonalisation) oder die Umwelt und die Objekte unwirklich sind (Derealisation)  
  • Angst vor Kontrollverlust, verrückt zu werden oder „auszuflippen“ 
  • Angst zu sterben (als Reaktion auf die körperlichen Zustände) 
  • Hitzegefühle oder Kälteschauer 
  • Gefühllosigkeit oder Kribbelgefühle   


4.  Sind die Angstsymptome oder das Vermeidungsverhalten für Sie emotional sehr belastend und haben Sie dabei die Einsicht, dass diese Ängste übertrieben oder unvernünftig sind?  

5.  Bleiben Ihre Symptome auf die gefürchteten Situationen oder Gedanken beschränkt? 
 
6.  Können Sie Ihre Furcht vor bestimmten Objekten oder Situationen mindestens einem der folgenden Typen zuordnen?  

  • Tier-Typ (Angst vor Insekten, Schlangen, Hunden usw.) 
  • Naturgewalten-Typ (Sturm, Donner, Blitz, Wasser, Meer usw.) 
  • Blut-Spritzen-Verletzungs-Typ (Angst vor Blut, Injektionen, Infusionen usw.)  
  • Situativer Typ (Angst vor einem geschlossenen Raum, vor einem Lift, vor einer Gondel, vor einem Tunnel, vor dem Fliegen usw.) 
  • Anderer Typ (z.B. Angst vor Zahnärzten, Krankenhäusern, Prüfungsangst)  


Wenn Sie die Fragen 1, 2, 4 und 5 sowie einige der Symptome bei Frage 3 und mindestens einen Phobietyp bei Frage 6 angekreuzt haben, haben Sie möglicherweise eine spezifische Phobie. 

 

 

Spezifische Phobien sind isolierte Phobien 

 

Die zentralen Merkmale kurzgefasst:

 

A.  Es besteht entweder eine deutliche Furcht vor einem bestimmten Objekt oder einer bestimmten Situation oder eine deutliche Vermeidung solcher Objekte und Situationen. Häufige phobische Objekte und Situationen sind Tiere, Vögel, Insekten, Höhen, Donner, Fliegen, kleine geschlossene Räume, Anblick von Blut oder Verletzungen, Injektionen, Zahnarzt- und Krankenhausbesuche.

 

B.  In den gefürchteten Situationen sind mindestens einmal seit dem Auftreten der Störung einige der 14 Angstsymptome (wie bei einer Agoraphobie) aufgetreten. 

 

C.  Es besteht eine deutliche emotionale Belastung durch die Symptome oder das Vermeidungsverhalten. Die Betroffenen haben die Einsicht, dass ihre Reaktionen übertrieben und unvernünftig sind.

 

D.  Die Symptome sind auf die gefürchtete Situation oder Gedanken an diese beschränkt, das heißt, es besteht keine Agoraphobie und keine Sozialphobie. 

 

Die spezifischen Phobien werden folgendermaßen unterteilt:

 

  • Tier-Typ (z.B. Insekten, Hunde)
  • Naturgewalten-Typ (z.B. Sturm, Wasser)
  • Blut-Injektion-Verletzungstyp
  • situativer Typ (z.B. Fahrstuhl, Tunnel)
  • andere Typen (z.B. Angst zu erbrechen)

 

Die wichtigsten spezifischen Phobien


Bei einer spezifischen Phobie besteht eine eng umschriebene Angst vor bestimmten, an sich ungefährlichen Objekten und Situationen, das heißt vor Reizen außerhalb des eigenen Körpers, ohne dass gleichzeitig eine Agoraphobie oder eine soziale Phobie gegeben ist. 

Angst vor dem Zahnarzt, dem dunklen Lift, dem Hund von nebenan – wer kennt diese Zustände nicht? 

Eine bestimmte Zeitdauer ist dabei nicht erforderlich. Bestimmte spezifische Phobien schränken das Leben nur geringfügig ein, sodass man ganz gut damit leben kann, weil die auslösenden Reize (z.B. Fliegen, Schlangen) nur selten auftreten oder keine panikartigen Reaktionen bewirken. 

Viele Menschen haben nur leichte spezifische Phobien ohne Krankheitscharakter. 

Spezifische Phobien treten oft gemeinsam mit situationsgebundenen oder situationsbegünstigten Panikattacken auf, die das Ausmaß der Phobie anzeigen. 

Grundsätzlich werden alle Ängste in Bezug auf den eigenen Körper als hypochondrische Störung bezeichnet, und zwar dann, wenn sie länger als ein halbes Jahr andauern. 

Wenn die körperlichen Ängste jedoch durch bestimmte Objekte und Situationen ausgelöst werden, wie dies bei einer Spritzen-, Blut- oder Verletzungsphobie der Fall ist, liegt eine spezifische Phobie vor. 

Es gibt zahlreiche externe Reize, die eine spezifische Phobie auslösen können. Man unterscheidet vier definierte Gruppen von spezifischen Phobien sowie eine fünfte Gruppe, in die alle restlichen spezifischen Phobien fallen:

 

 

Tierphobien

 

Hunde, Katzen, Pferde, Vögel, Schlangen, Mäuse, Insekten (z.B. Bienen oder Käfer), Spinnen und Schnecken stehen oft in Verbindung mit Tierphobien aus der Kindheit, als diese zumeist fälschlicherweise als gefährlich eingeschätzt wurden. 

Die Ängste können auch biologisch vorgeformt oder evolutionär bestimmt sein (z.B. Ängste vor sich am Boden bewegenden Tieren wie etwa Schlangen). 

 

Naturgewalten-Phobien 

 

Naturereignisse: Die Angst vor Gewittern, Donner, Blitz, Unwettern oder Feuer ist biologisch geprägt und nicht nur erlernt. 

 

Blut-Injektion-Verletzungs-Phobien

 

Blut: Im Gegensatz zu allen anderen Phobien, bei denen es zu einem Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz kommt, tritt dabei oft ein schockbedingter Blutdruckabfall in Verbindung mit einer kurzfristigen Ohnmacht auf. 


Verletzungen: Dahinter steht oft die Angst vor dem Sterben oder vor Schmerzen.  


Medizinische Geräte, Situationen und Behandlungsmethoden: Nadeln, Spritzen, Infusionen, Operationen und bestimmte Untersuchungsmethoden (Gastroskopie, Lumbalpunktion) werden so gefürchtet, daß Behandlungen (z.B. beim Zahnarzt) nur erschwert möglich sind. 

 

Situative Phobien 

 

Öffentliche Verkehrsmittel oder Autofahren: Angst vor Busfahren oder Autofahren, ohne dass gleichzeitig eine umfassendere Bewegungseinschränkung im Sinne einer Agoraphobie gegeben ist. 


Geschlossene Räume bzw. Enge: Aufzüge, Seilbahnen, Tunnel, Unterführungen, Bergwerke oder fensterlose Räume lösen Einengungsängste aus, was früher „Klaustrophobie“ genannt wurde. 


Höhen: typisch sind Ängste vor Brücken, Berggipfeln oder hohen Gebäuden, die durch fehlende Schwindelfreiheit verstärkt werden. 


Fliegen: bei Flugphobien (Aviophobien), die bei rund einem Drittel der Bevölkerung vorhanden sind, wird weniger das Abstürzen als die Eingeengtheit im Sinne einer Agoraphobie gefürchtet. 


Tiefe Wasser: Schwimmen und Bootfahren werden gefürchtet wegen der Angst zu ertrinken. 


Dunkelheit: eine im Rahmen der Evolution verständliche Angst vor Bedrohung durch unbekannte Gefahrenquellen. 

 

 

Andere spezifische Phobien

 

Gegenstände: Ängste vor spitzen Messern oder Nadeln stehen oft mit einer generellen Verletzungsangst in Verbindung. 


Lärm und Geräusche: Überraschende und unidentifizierbare Reize lösen Schreckreaktionen aus. 


Wasserlassen und Stuhlgang auf öffentlichen Toiletten: Die Ausscheidungsfunktionen werden durch Beobachtungsängste in öffentlichen Situationen gehemmt. 


Prüfungssituationen: Versagensängste bei Leistungssituationen in der Schule oder im Beruf (ohne gleichzeitiger sozialer Phobie). Sie verhindern, das vorhandene Potential adäquat umzusetzen.  


Schulangst: Schulunlust aus Angst vor der Schule, den Lehrern oder den Mitschülern (die früher sogenannte Schulphobie beruht dagegen auf der Angst vor Trennung von den wichtigsten Bezugspersonen). 


Erröten: Die Angst vor dem Erröten führt auch ohne gleichzeitige soziale Phobie zum Unbehagen in Gesellschaft anderer. 


Schmutz und Bakterien: Die Angst vor Verunreinigung führt oft zu Zwangshandlungen (Waschen und Reinigen).  

 

Wie spezifische Phobien entstehen 

 

Viele spezifische Phobien haben ihre Wurzeln in der Kindheit und spiegeln die falsche Einschätzung von bestimmten Objekten und Situationen als gefährlich wider. 

Als weitere Ursachen gelten traumatische Erlebnisse (z.B. Hundebiss, Autounfall, Steckenbleiben des Lifts) oder eine biologische Vorgeformtheit durch die Evolution (z.B. bei Tier-, Gewitter-, Dunkel- oder Höhenängsten). 

Immer sind jedenfalls in bestimmten Situationen belastende körperliche und/oder psychische Zustände aufgetreten; sie sollen möglichst verhindert werden, in dem man die betreffenden Objekte und Situationen einfach umgeht. 

Dadurch wird aber die weitere Angstbereitschaft verstärkt, weil im Gehirn keine erfolgreiche Bewältigungserfahrung eingespeichert wird. Wir kennen ähnliche „Spiralen“ bereits von den ersten beiden „Gesichtern der Angst“! 

 

 

Der Schlüssel: stellen Sie sich Schritt für Schritt der angstauslösenden Situation! 

 

Es ist der einzig sinnvolle Weg, der zum Ziel führt: Ähnlich wie bei einer Agoraphobie stellt die mentale und reale Konfrontation mit den gefürchteten Objekten und Situationen die zentrale Bewältigungsstrategie dar. 

Schritt für Schritt soll das Selbstvertrauen langsam wieder aufgebaut werden. 

Es ist dabei nicht erforderlich und auch nicht immer sinnvoll, gar keine Angst mehr zu haben! Ziel ist zunächst, mit den Angstreaktionen einfach besser umgehen zu lernen. 

Es reicht bei bestimmten Phobien, wie etwa Hunde-, Dunkelheits- oder Flugphobien, die Bewegungsfreiheit wiederzugewinnen und schlicht die Lebensqualität wieder spürbar zu verbessern. 

Durch die Bewältigung einer Seilbahnphobie rückt der früher heiß geliebte Skiurlaub wieder in greifbare Nähe; die Überwindung der Angst vor dem Zahnarzt garantiert in naher Zukunft das ersehnte strahlende Lächeln etc. 

Das ist doch allemal ein Anreiz, sich Schritt für Schritt mit Ihrer Angst zu beschäftigen, oder?