Soziale Angststörung

Historische Aspekte der sozialen Phobie

 

Der griechische Arzt Hippokrates beschrieb in der Antike einen Mann, den man 

 

„wegen seiner Schüchternheit, wegen seines Argwohns und seiner Furchtsamkeit kaum zu sehen bekam; der die Dunkelheit wie sein Leben liebte und weder Helligkeit ertragen noch an beleuchteten Plätzen sitzen konnte, der – den Hut über die Augen gezogen – weder andere sehen noch von ihnen angeschaut werden wollte. Er mied jeden Kontakt aus Angst, schlecht behandelt zu werden, sich zu blamieren oder in seinen Gebärden oder durch sein Reden aus dem Rahmen zu fallen, oder sich übergeben zu müssen. Er glaubte sich von jedermann beobachtet...“ 

 

Das Phänomen der sozialen Phobie wurde bereits 1903 vom französischen Psychiater Pierre Janet beschrieben.

Die soziale Phobie in ihrer modernen Form wurde 1966 von den englischen Psychiatern und Verhaltenstherapeuten Isaac Marks und Michael Gelder definiert, später weiter ausgearbeitet, 1980 in das amerikanische psychiatrische Diagnoseschema DSM-III aufgenommen und 1992 auch im internationalen Diagnoseschema ICD-10 verankert.

Zunehmend wird der Begriff „soziale Phobie“ durch den Terminus „soziale Angststörung“ ersetzt, der das Ausmaß der Störung besser widerspiegelt. 

 

 

Symptomatik der sozialen Phobie

 

Eine soziale Phobie lässt sich durch folgende Definitionen charakterisieren:


  • Eine soziale Phobie ist eine starke andauernde Angst vor sozialen, beruflichen oder sonstigen Leistungsanforderungen in Gegenwart anderer Menschen, die eine kritische Bewertung abgeben könnten. Die Betroffenen erleben soziale Situationen oder bloß deren Erwartung mit großer Angst und Scham, weil sie glauben, die geltenden Bewertungsstandards nicht erfüllen zu können. Sie befürchten Blamage, Kritik oder Ablehnung und tendieren zur Vermeidung oder können unausweichliche Sozialkontakte nur mit großer innerer Anspannung durchstehen. Sie wissen, dass ihre Ängste übertrieben oder unbegründet sind, können ihr Angst- und Vermeidungsverhalten aber nicht kontrollieren und reagieren auf soziale Situationen öfter mit einer situationsabhängigen Panikattacke, was das Ausmaß ihrer sozialen Phobie widerspiegelt. 


  • Eine soziale Phobie ist eine starke Furcht und ständige Vermeidung von Situationen, bei denen man im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit anderer Menschen steht und sich peinlich oder erniedrigend verhalten könnte. Die emotionale Belastung in sozialen Situationen zeigt sich oft in Form körperlicher Symptome (z.B. Schwitzen, Zittern). 


  • Eine soziale Phobie ist eine dauerhafte, unangemessene Furcht und ängstliche Vermeidung von Situationen, in denen die Betroffenen mit anderen Menschen zu tun haben und dadurch einer möglichen Bewertung im weitesten Sinne ausgesetzt sind. 


  • Eine soziale Phobie besteht in der Überzeugung oder Erwartung, das eigene Verhalten oder sichtbare Körpersymptome wie Rotwerden, Schwitzen oder Zittern könnten von anderen Menschen kritisch oder sonst irgendwie peinlich bewertet werden. 


  • Eine Sozialphobie ist eine Bewertungsangst, in den Augen der anderen Menschen nicht gut genug zu sein, woraus bestimmte Verhaltensweisen (z.B. Vermeidung) resultieren, um sich vor entsprechenden Reaktionen der sozialen Umwelt zu schützen. 


Nach den Forschungskriterien des ICD-10 ist eine soziale Phobie (F40.1) durch folgende Merkmale charakterisiert:

 

A.    Entweder 1. oder 2.:

 

1.  deutliche Furcht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder sich peinlich oder erniedrigend zu verhalten

2.   deutliche Vermeidung im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder vor Situationen, in denen die Angst besteht, sich peinlich oder erniedrigend zu verhalten.

 

Diese Ängste treten in sozialen Situationen auf, wie Essen oder Sprechen in der Öffentlichkeit, Begegnung von Bekannten in der Öffentlichkeit, Hinzukommen oder Teilnahme an kleinen Gruppen, wie z.B. bei Partys, Konferenzen oder in Klassenräumen.

 

B.  Mindestens zwei Angstsymptome in den gefürchteten Situationen mindestens einmal seit Auftreten der Störung, wie in F40.0, Kriterium B., definiert, sowie zusätzlich mindestens eins der folgenden Symptome:

 

1.   Erröten oder Zittern

2.   Angst zu erbrechen

3.   Miktions- oder Defäkationsdrang bzw. Angst davor.

 

C.  Deutliche emotionale Belastung durch die Angstsymptome oder das Vermeidungsverhalten. Einsicht, dass die Symptome oder das Vermeidungsverhalten übertrieben und unvernünftig sind.

 

D.  Die Symptome beschränken sich ausschließlich oder vornehmlich auf die gefürchteten Situationen oder auf Gedanken an diese.

 

E.  Ausschlussvorbehalt: Die Symptome der Kriterien A. und B. sind nicht bedingt durch Wahn, Halluzinationen oder andere Symptome der Störungsgruppen organische psychische Störungen (F0), Schizophrenie und verwandte Störungen (F2), affektive Störungen (F3) oder eine Zwangsstörung (F42) oder sind nicht Folge von kulturell akzeptierten Anschauungen.



Menschen mit einer Sozialphobie haben Angst zu versagen, sich lächerlich zu machen oder durch ungeschicktes Verhalten unangenehm aufzufallen.

Sie befürchten, in sozialen Situationen verspottet oder feindselig behandelt zu werden, dumm auszusehen, die Kontrolle zu verlieren, Panik zu bekommen und nicht mehr zu wissen, was sie sagen sollen.

Das Gefühl von Peinlichkeit oder Blamage geht mit heftigen Emotionen wie Scham, Verlegenheit oder Unsicherheit einher.

Starke Schamgefühle spiegeln die krankhafte Selbstabwertung vor anderen Menschen wider. 

Soziale Situationen lösen fast unvermeidlich eine sofortige Angstreaktion aus, die mit körperlichen Symptomen verbunden ist, wie etwa Verkrampfung, Händezittern, feuchte Hände, Schwitzen am ganzen Körper, Erröten, Herzrasen, Atemnot, Kloßgefühl im Hals, Übelkeit, Schwindel, Harn- und Stuhldrang, Kopf- oder Magenschmerzen, Stottern bzw. Sprechhemmung. 

Sichtbare Symptome (Schwitzen, Zittern, Erröten, Weinen, Stimmveränderungen, Flucht auf die Toilette) verstärken die Angst vor sozialer Auffälligkeit.

Sozialphobiker haben ständige Erwartungsängste in Bezug auf soziale Situationen und sind durch die sozialen Folgeprobleme ihres Vermeidungsverhaltens bald erheblich beeinträchtigt.


Die körperlichen Symptome erreichen meist nicht das Ausmaß einer Panikattacke, es können aber auch situationsgebundene oder situationsbegünstigte Panikattacken auftreten, die das Ausmaß der sozialen Phobie anzeigen. 

Viele Sozialphobiker glauben irrtümlich, sie hätten eine Panikstörung; diese erfordert jedoch auch unerwartete, situationsunabhängige Panikattacken. 

Eine soziale Phobie mit Panikstörung kommt etwa gleich häufig vor wie eine Agoraphobie mit Panikstörung. 

Eine soziale Phobie äußert sich bei Kindern auch in Form von Schreien, Wutanfällen, Gelähmtsein oder Zurückweichen von sozialen Situationen mit unvertrauten Personen; zudem kann die Einsicht fehlen, dass die Ängste übertrieben und unvernünftig sind.

Zur Abgrenzung gegenüber vorübergehenden, entwicklungsbedingten Rückzugstendenzen sollte bei unter 18-Jähigen eine Mindestdauer von sechs Monaten.

Bei Erwachsenen wird keine Mindestdauer festgelegt. Eine verlässliche Diagnose ist bei Kindern erst ab dem 8. Lebensjahr möglich. Die Fähigkeit zum Aufbau altersgemäßer Sozialkontakte mit vertrauten Personen wird vorausgesetzt.

Die Sozialphobie ist trotz der belastenden körperlichen Symptome im Wesentlichen eine kognitive Störung. Sie beruht auf der Fehleinschätzung des eigenen sozialen und Leistungsverhaltens (z.B. „Ich bin unfähig, langweilig und uninteressant“) und auf der Erwartung von negativen Bewertungen des eigenen Verhaltens durch andere („Die anderen werden mich kritisieren und bestimmt ablehnen“).             

Das ICD-10 fordert das Vorhandensein von körperlichen Angstsymptomen, was eine unnötige Einschränkung darstellt.

Laut Forschungsbefunden können Angstsymptome aber auch fehlen. Körperliche Symptome werden oft durch ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten oder durch ein ständiges Sicherheitsverhalten (Mitnahme bzw. Einnahme bestimmter Medikamente u.a.) umgangen oder vermindert. 

Generalisierte soziale Ängste, die sich auf viele soziale Situationen beziehen, werden heute allgemein als „soziale Angststörung“ bezeichnet.

Der Begriff „soziale Phobie“ erfasst eher spezifische soziale Ängste (ängstliche Blockaden in Leistungssituationen) und ist bei eher generalisierten sozialen Ängsten unpassend, weil er das Ausmaß der Beeinträchtigung stark unterschätzt. 

Bei einer spezifischen Sozialphobie kann man – ähnlich wie bei einer spezifischen Phobie – durchaus öfter ausweichen, ohne zu große Nachteile zu riskieren, während bei einer eher generalisierten sozialen Phobie die soziale Kontaktfähigkeit an sich beeinträchtigt ist. 

Auf den vier Ebenen der Angst zeigen sich typische Merkmale: 

1.  Kognitionen

Es bestehen typische (automatische) Denkmuster: „Ich bin dumm, hässlich, langweilig, uninteressant, nicht liebenswert“; „Ich werde zittern, schwitzen, rot werden und immer nervöser werden“; „Die anderen werden meine Symptome bemerken und dann bin ich erledigt“; „Wenn ich zittere, werden sie mich für nervenkrank halten“; „Wenn ich rot werde, werden sie mich für schüchtern oder schwach halten.“ Ein negatives Selbstbild mit ständiger Kritikangst sowie Perfektionismusstreben zur Überkompensation von Defiziten sind zentrale Charakteristika. 

2.  Emotionen

Es bestehen charakteristische Gefühlsreaktionen: Ablehnungsangst, Erwartungsangst, Schamgefühle, Unsicherheit, Verlegenheit, Sorgen, Depressivität. 

3.  Körpersymptome

Sichtbare, an sich harmlose Körpersymptome werden aus Angst, dadurch noch unangenehmer aufzufallen, besonders gefürchtet: Erröten, Zittern, Schwitzen, Stottern, Stimmveränderungen. Weitere Körpersymptome werden aus Angst, andere Menschen könnten daraus Rückschlüsse auf psychische Probleme ziehen, ebenfalls als sozial stigmatisierend erlebt: situative Panikattacken mit Herzrasen und der daraus resultierenden Angst vor Auffälligkeit; Schwindel mit der Angst umzufallen und durch aufzufallen; ständige Muskelanspannung („Nervosität“), Übelkeit mit der Angst zu erbrechen und sich dadurch zu blamieren; Harn- oder Stuhldrang mit Erwartungsängsten, ständig auf die Toilette gehen zu müssen; trockener Mund wegen der Angst, durch ständiges Trinken unangenehm aufzufallen; Atemnot wegen der damit einhergehenden peinlichen Störung des Sprachflusses. 

4.  Verhaltensweisen

Die jeweiligen Denkmuster und Gefühle führen nicht nur zu bestimmten körperlichen Symptomen, sondern vor allem auch zu bestimmten Verhaltensweisen, die die soziale Phobie aufrechterhalten und verschlimmern: 

  • Vermeidung oder Flucht („aktive Vermeidung“): Vermeidung sozialer Aktivitäten; Lügen und Ausreden, warum man an bestimmten sozialen Ereignissen nicht teilnehmen kann; Vermeidung öffentlicher Mahlzeiten aus Angst vor Übelkeit, Erbrechen oder Händezittern; Vermeidung von Blickkontakt, um nicht als unsicher beurteilt zu werden. Vermeidungsreaktionen bestätigen mangels gegenteiliger Erfahrungen die Angst, von anderen abgelehnt zu werden, und halten die Sozialphobie aufrecht (nach dem Prinzip der „negativen Verstärkung“). Die Hemmung des spontanen Sozialverhaltens („passive Vermeidung“) durch Überkontrolle und Unterdrückungsversuche von körperlichen Symptomen, wenn Flucht nicht möglich ist, erhöht die Wahrscheinlichkeit, als unnatürlich und unecht aufzufallen. Der Schreck kann bis zur totalen Verhaltensblockade („Freeze“) führen. 


  • Sicherheitsverhaltensweisen in den sozial bedrohlich erscheinenden Situationen wie ständige Selbstbeobachtung (erhöhte Selbstaufmerksamkeit: „Wie wirke ich auf andere?“), der Konsum von Alkohol oder die Einnahme von Medikamenten (Beruhigungsmittel oder Beta-Blocker) mit dem Ziel, ruhiger zu wirken, oder das rigide Ablesen eines bis ins kleinste Detail vorbereiteten Manuskripts aus Angst zu stottern vermindern zwar kurzfristig tatsächlich oder vermeintlich die befürchtete Blamage und die sozialen Ängste, verstärken diese jedoch langfristig mangels alternativer Erfahrungen, sodass zukünftig erst recht wieder Vermeidungs- oder Sicherheitsverhaltensweisen eingesetzt werden. Die erhöhte Selbstaufmerksamkeit verhindert zudem ein lockeres und spontanes Verhalten. 


  • Sozial inadäquates Verhalten wird nur zu vermeiden und zu unterdrücken versucht, anstatt durch ein Versuch-und-Irrtum-Lernen adäquatere soziale Reaktionsmuster zu entwickeln und zu erproben. 


Soziale Phobien können klar abgegrenzt und umschrieben sein oder unbestimmt und in fast allen sozialen Situationen außerhalb des Familienkreises auftreten.

Die Diagnose einer sozialen Phobie wird bestätigt, wenn eine Person Tätigkeiten alleine angstfrei ausführen kann, die ihr in Gegenwart anderer Menschen aufgrund von Beobachtungs- und Bewertungsängsten schwer fallen.

Die Beobachtung durch andere wirkt irritierend, die Furcht vor kritischer Beurteilung bewirkt eine Leistungshemmung


Angstauslösend sind Leistungssituationen, wo das eigene Verhalten von anderen beobachtet und bewertet werden kann (z.B. öffentliches Reden, Trinken, Essen, Schreiben, Prüfungen, sportliche Betätigung) und Interaktionssituationen, wo das eigene Verhalten und die Reaktionen der anderen in wechselseitiger Beziehung stehen (z.B. soziale Kontakte mit Bekannten, Fremden, Autoritätspersonen oder dem anderen Geschlecht).

Ganz normale, belanglose Unterhaltungen („Small-Talk“) werden vor allem dann zum Problem, wenn kein strukturierter Ablauf vorhanden ist, wie dieser etwa in einer durch bestimmte Rollen definierten Verkaufssituation gegeben ist.

Außenstehende können das kaum verstehen: Dieselben Leute, die als Verkäufer im Geschäft sehr kompetent und überzeugend wirken, können später mit ihren Kunden kein lockeres Gespräch über Belanglosigkeiten oder private Angelegenheiten führen und nur unter großer innerer Überwindung und Belastung ein gemeinsames Essen in einem Restaurant einnehmen.

Typische Situationen, wo soziale Ängste auftreten, sind:

  • sich in Gegenwart anderer äußern und die eigene Meinung vertreten, 
  • in der Öffentlichkeit eine Rede halten oder in einer Arbeitsgruppe referieren,
  • bei einem bestimmten Anlass öffentlich in Erscheinung treten (z.B. bei Ehrungen),
  • jemandem bei Meinungsverschiedenheiten widersprechen und Forderungen stellen,
  • Beschwerden vorbringen oder Reklamationen in Geschäften vornehmen,
  • Kontakte mit dem anderen Geschlecht (Ansprechen oder Flirt),
  • Kontakte mit Autoritätspersonen, Prüfern oder sonstigen einflussreichen Personen, 
  • Kontakte und Gespräche mit fremden Menschen (z.B. anderen vorgestellt werden),
  • Essen und Trinken mit anderen (das Glas oder die Tasse heben, ohne zu zittern),
  • Teilnahme an Gruppen (Party, Feier, Veranstaltung, Geschäftsessen, Meeting),
  • Betreten eines Raumes, in dem bereits andere Personen sitzen (z.B. Wartesaal),
  • in einem Lokal in der Mitte sitzen oder sonst anderswo auffällig dasitzen,
  • in der Öffentlichkeit telefonieren oder mit unbekannten Personen telefonieren, 
  • unter Beobachtung anderer schreiben oder eine Unterschrift leisten,
  • in einer Leistungssituation von anderen beobachtet werden (z.B. bei der Arbeit), 
  • sportliche Betätigung, während andere zuschauen (z.B. Gymnastik, Schwimmen),
  • mündliche Prüfungen, Teilnahme bei Tests und Wettbewerben,
  • beim Rotwerden, Zittern oder Schwitzen sich beobachtet fühlen,
  • in öffentlichen Verkehrsmitteln anderen gegenübersitzen und dabei auffallen,
  • Besuch öffentlicher Toiletten (Paruresis bei Männern und Frauen),
  • Bewerbungsgespräche vornehmen und Aufnahmsprüfungen durchstehen.

 

Die Unterscheidung sozialphobischer Situationen nach Leistungs- und Interaktionssituationen muss sich am Einzelfall orientieren, weil es nicht so sehr auf die objektiven Eigenschaften einer Situation ankommt, sondern vielmehr auf die subjektiven Bewertungen.

Ein Sozialphobiker kann beim Gespräch in einer Gruppe fürchten, keinen Kontakt herstellen zu können oder aus Unwissenheit etwas Dummes zu sagen (Interaktionsaspekt) oder vor anderen zu zittern oder zu stottern (Leistungsaspekt).

Die Angst auslösenden Umstände hängen zentral von den jeweiligen Denkmustern ab

In Leistungssituationen (z.B. Vortrag, Vorspielen, Vorsingen oder Vorturnen) und Interaktionssituationen (z.B. Teilnahme an einer Geburtstagsfeier oder an einer Diskussionsrunde) bestehen unterschiedliche Möglichkeiten, von anderen Menschen Rückmeldungen zum eigenen Verhalten zu bekommen, um dadurch mehr Sicherheit zu entwickeln. 

Aufgrund mangelnder unmittelbarer sozialer Feedback-Möglichkeiten in Leistungssituationen ist etwa bei einem Frontalvortrag die soziale Unsicherheit größer als bei Unterhaltungen im Rahmen einer Arbeitsgruppe, wo rascher und in deutlicherem Ausmaß die Reaktion der anderen auf das eigene Sozialverhalten ersichtlich ist. 


Das Ausmaß sozialer Ängste hängt auch von der Art und der Größe sozialer Gruppen ab.

Definitionsgemäß bestehen soziale Phobien in der Furcht vor der prüfenden Beobachtung durch andere Menschen in verhältnismäßig kleinen Gruppen, nicht dagegen in anonymen Menschenmengen (z.B. Kino, Theater, Großveranstaltung, Fußballplatz), weil hier die gefürchtete persönliche Nähe zu einzelnen Menschen entfällt. 

Sozialphobiker teilen andere Menschen je nach dem Gefühl der Bedrohung häufig in drei Gruppen ein, was bedacht werden muss, wenn man verstehen will, warum sie sich vor verschiedenen Leuten fürchten, vor anderen dagegen überhaupt keine Angst haben:


  • Sehr vertraute Menschen (Eltern, Großeltern, Partner, eigene Kinder, engste Freunde), vor denen keine Angst besteht, weil eine Beurteilungssicherheit gegeben ist.


  • Die große Gruppe der unbekannten oder weniger vertrauten Personen, d.h. der Großteil der Menschen, deren Urteil aus irgendeinem Grund potenziell wichtig sein könnte, sodass Auffälligkeit und Kritik nicht riskiert werden darf. 


  • Jene Menschen, die man nie wieder sieht (z.B. auf einer Autobahnraststätte), die man selbst nicht mag oder deren Urteil einem gleichgültig ist (z.B. Personen, die man selbst als klar unterlegen oder verabscheuenswürdig beurteilt). Weil diese Personen als nicht relevant für das Sozialprestige und das Selbstbewusstsein angesehen werden, besteht ihnen gegenüber weniger oder gar keine Angst.

 

Angst vor Kritik und Ablehnung führt dazu, dass Menschen mit sozialen Ängsten sich nicht durchsetzen und ihre berechtigten Wünsche und Bedürfnisse nicht ausreichend vertreten können. Sie haben Schwierigkeiten, Nein zu sagen und sich gegenüber den Forderungen anderer abzugrenzen, weil sie Angst haben, nicht mehr geliebt zu werden. Sie verzichten lieber auf ihre Ansprüche, als potenzielle Ablehnung zu riskieren.

Ihre Furcht vor Kritik hängt häufig mit einem geringen Selbstwertgefühl zusammen. Menschen mit Sozialphobie sind häufig selbst ihre schärfsten Kritiker und fürchten, dass andere Menschen ihre eingebildeten oder tatsächlichen Schwächen erkennen könnten. Sie können sich selbst mit ihrer Eigenart nicht annehmen und fürchten daher die soziale Ablehnung als Bestätigung ihrer Insuffizienz. 

Soziale Angst, die aus Selbstunsicherheit entsteht, kann so weit gehen, dass die Betroffenen glauben, andere Menschen würden ständig über sie sprechen oder sie in besonderer Weise anschauen (so genannte Beziehungsideen).

Eine Person mit einem ausgeprägten derartigen Verhalten wird als „sensitiv“ bezeichnet. Es tritt oft auch bei depressiven Personen mit geringem Selbstwertgefühl auf. 

Viele Menschen mit einer generalisierten Sozialphobie leben recht zurückgezogen und sehnen sich bei aller Angst vor Ablehnung und Zurückweisung doch sehr nach Kontakt und Anerkennung. Nach verschiedenen verpassten Gelegenheiten leiden sie stark unter dem Gefühl, wieder einmal nicht die Initiative ergriffen zu haben (z.B. eine Person des anderen Geschlechts anzusprechen). Das Risiko, auf der Suche nach dem richtigen Partner einige Ablehnungen hinnehmen zu müssen, erscheint einfach zu groß. 

Auf der Suche nach einem Partner hoffen viele sozialphobische Menschen gleich auf einen intimen Partner. Das erste Gespräch im Lokal wird bereits zum Test, ob man beim anderen „angekommen“ oder „durchgefallen“ ist. Diese Art der Kontaktsuche ist auf dem Hintergrund des langen Alleinseins verständlich, stellt jedoch eine Überforderung für beide Interaktionspartner dar. Oft fehlen Geduld, Engagement und Verständnis dafür, dass eine Beziehung über einen längeren Zeitraum, auch durch Enttäuschungen hindurch, aufgebaut werden muss. 

Allein stehende Sozialphobiker glauben nicht selten, durch einen intimen Partner schlagartig alle sozialen Ängste zu verlieren. Ein Partner wird häufig als der Retter aus großer Not sehnsüchtig erwartet. Bei langfristig unerfüllten Erwartungen können depressive Verstimmungen auftreten. 

 Viele Sozialphobiker haben völlig unrealistische Zielvorstellungen über den Aufbau und die Erhaltung von Beziehungen und erleben deshalb ständig neue Enttäuschungen. Die Suche nach einem Partner stellt oft einen Kompensationsversuch der eigenen Unsicherheit dar, der trotz ständiger Misserfolge so lange nicht aufgegeben werden kann, als nur in einem intimen Partner die Erlösung aus der Einsamkeit gesehen wird. 

Soziale Phobien äußern sich häufig in Form von sexuellen Funktionsstörungen. Die Angst, in sexueller Hinsicht zu versagen oder als Frau bzw. Mann nicht attraktiv genug zu sein, verhindert den näheren Kontakt mit einer Person des anderen Geschlechts. Küssen wird nicht selten aus Angst vor schlechtem Mundgeruch vermieden. Die Betroffenen brechen eine beginnende Beziehung häufig von sich aus ab, um dem deprimierenden Gefühl der Ablehnung zu entkommen. Scham und Scheu im sexuellen Kontext ist auch aus einem Gedicht von Schiller bekannt („Errötend folgt er ihren Spuren“). 


Bei Kindern und Jugendlichen treten soziale Ängste am häufigsten in Form der Schulphobie und der Prüfungsangst auf, aber auch in Form der Angst, von anderen Kindern ausgelacht zu werden, wenn diese als Gruppe und damit als bestimmende Mehrheit erlebt werden.

Schüler mit einer sozialen Phobie schneiden wegen ihrer Prüfungsängste und des nicht seltenen Vermeidens der Teilnahme am Unterricht bei Prüfungen häufig schlechter ab als andere Kinder, was die Angst vor Leistungsbeurteilungen verstärkt.

Schlechtere Schulleistungen als aufgrund des oft großen Lerneinsatzes notwendig sind, hängen häufig zusammen mit der angstbedingten Blockade beim Sprechen vor der ganzen Klasse und der Autoritätsperson des Lehrers. 

Die Prüfungssituation als der Inbegriff einer gefürchteten Leistungsbeurteilung führt zu einer verstärkten Beobachtung des eigenen Verhaltens bzw. bestimmter sozial auffällig machender Symptome (Zittern, Rotwerden, Schwitzen, Stottern, Versagen der Stimme) und infolgedessen zu einer Konzentrationsstörung, sodass das oft vorhandene Wissen nicht adäquat dokumentiert werden kann. 

Im Sport spricht man von „Trainingsweltmeistern“, weil die Betroffenen aus „Nervosität“ im Wettkampf versagen. 

Die Beziehung zwischen sozialen Ängsten und verschiedenen Körpersymptomen wird von sozialphobischen Patienten oft umgedreht: Nicht die Ängste würden zu Symptomen führen, sondern die unerklärlichen Symptome würden die Ängste verursachen. In der Selbstwahrnehmung werden die körperlichen Angstsymptome demnach als das primäre Problem verkannt.

Typische Aussagen sind etwa: „Wenn ich nicht so leicht erröten, schwitzen oder zittern würde, dann hätte ich keine Angst vor anderen Menschen.“ 

Die Einsicht in die tatsächlichen Zusammenhänge stellt die Voraussetzung für eine Psychotherapie dar, andernfalls wird die Lösung in der Einnahme von Medikamenten (Beruhigungsmitteln, Beta-Blockern und immer häufiger Antidepressiva) gesucht, die die gefürchteten Körpersymptome verhindern sollen. Die Betroffenen hätten am liebsten ein Pokerface, das nichts über ihr inneres Befinden verrät. 


Eine Errötungsangst (Erythrophobie) bezieht sich auf das Erröten in sozialen Situationen und resultiert oft aus der Angst vor Sozialkontakten oder aus einem plötzlichen Überraschungseffekt in sozialen Situationen. Die Betroffenen meinen, sie würden nur wegen des unkontrollierbaren Errötens den Kontakt mit anderen Menschen fürchten und hätten sonst keine soziale Unsicherheit und keine Probleme im Umgang mit anderen. 


Schwitzen wird oft nicht durch die Bewältigung der sozialen Ängste, sondern möglichst durch das Vermeiden von Schwitzen zu bewältigen versucht (z.B. keine warmen Räume betreten, nicht zu warm anziehen). Es werden Verhaltensweisen entwickelt, wie man das Schwitzen möglichst unauffällig ertragen kann (z.B. ein Unterhemd mit hoher Saugkraft, ein Spray zur Vermeidung eines unangenehmen Körpergeruchs). 

Ein psychogener Tremor in Form des Händezitterns hat für viele Betroffene häufig noch weitreichendere Folgen als das unkontrollierbare Auftreten von Rotwerden oder Schwitzen. Hier zeigt sich vielleicht am deutlichsten, dass nicht das Verhalten an sich, sondern dessen Bewertung Angst machend ist. 

Psychogenes Händezittern wird von den Betroffenen oft als „Nervenkrankheit“ erlebt. Sie fürchten daher, andere Menschen könnten ähnlich denken, sodass sie schon allein deswegen als psychiatrischer Fall gelten könnten. Die Betroffenen weichen sozialen Situationen subjektiv wegen des befürchteten Händezitterns aus, doch ist dieser Tremor letztlich nur das Ergebnis der angstbedingten Muskelverspannung. Verspannt sind oft nicht nur die Hand, sondern auch der ganze Arm und der Schulter-Nacken-Bereich. 

Die Angst vor dem sichtbaren Zittern der Hände kann dazu führen, dass die Betroffenen in Anwesenheit anderer aus Angst vor Auffälligkeit nichts essen, trinken oder unterschreiben. Ohne das Gefühl der Beobachtung können die Betroffenen alle Tätigkeiten problemlos ausführen. 

Am Beispiel des Händezitterns kann die Eigenart einer Sozialphobie im Vergleich zur Parkinson-Krankheit erläutert werden. Sozialphobiker haben Angst, auf einem Formular oder Zahlschein nur unleserlich unterschreiben zu können, im Restaurant die Suppe vom Löffel zu kippen, beim Anstoßen mit dem Weinglas ungeschickt zu sein, im Café den Zucker oder den Kaffee zu verschütten, im Selbstbedienungsrestaurant das Cola-Glas unruhig zu tragen, im Geschäft das Wechselgeld nicht in Ruhe entgegennehmen zu können, obwohl diese Befürchtungen meistens unberechtigt sind. Parkinson-Kranke dagegen zittern sehr stark, bemerken es jedoch oft gar nicht und haben trotz ihrer Beeinträchtigung gewöhnlich keine Angst, etwas in der Öffentlichkeit zu tun. 


Die übermäßige Beschäftigung mit der eigenen Person und der Wirkung auf andere Menschen äußert sich in sozialen Situationen in der Form, dass Sozialphobiker glauben, die anderen Menschen würden ebenfalls ständig ihre vermeintlichen Defizite und ihre psychovegetative Auffälligkeit (an sich harmlose, jedoch von anderen beobachtbare körperliche Symptome) beobachten. 

Sozialer Rückzug und das verkrampfte Bemühen, möglichst unauffällig zu wirken, verhindern die Erfahrung, dass die Mitmenschen die Betroffenen gar nicht im gefürchteten Ausmaß beobachten bzw. kritisieren, sondern trotz der vermeintlichen Schwächen als liebenswerte Persönlichkeiten ansehen. 

Durch die ständige ängstliche Selbstbeobachtung steigt die vegetative Anspannung, was die Befürchtung verstärkt, als „nervös“ zu gelten und abgelehnt zu werden. 

Ein typisches Beispiel einer sozialen Phobie ist die Geschichte eines Mannes, der in einer Buchhandlung ein interessantes Buch über Schüchternheit sieht, es aber trotz großen Interesses nicht wagt, das Buch zu kaufen oder nur hineinzuschauen, weil die Verkäuferin dann ja wüsste, dass er ein schüchterner Mensch ist. Das Erlebnis, sich wieder einmal nicht über seine Angst vor der Reaktion der anderen Leute hinwegsetzen zu können, bestätigt ihm sein Schicksal der Unveränderbarkeit. 

Wenn Sozialphobiker bestimmte Situationen nicht vermeiden können oder diese mit weniger Belastung ertragen möchten, wenden sie typische Sicherheitsverhaltensweisen an, die die Gefahr einer sozialen Auffälligkeit mit allen nur möglichen Mitteln und Methoden vermindern sollen: 

  • vor Prüfungen alles aufschreiben, auswendig lernen, im Kopf x-mal durchgehen,
  • bei Gesprächen vorher alles gut durchdenken, bevor man sich äußert, 
  • nichts sagen, um nicht durch Erröten oder Schwitzen im Mittelpunkt zu stehen,
  • auf Suppe oder Kaffee verzichten, um nicht durch Händezittern aufzufallen,
  • das Glas oder die Tasse sehr fest halten, um leichtes Zittern zu unterdrücken,
  • mögliches Zittern kontrollieren, um den Anschein von Nervosität zu vermeiden,
  • bestimmte Kleidung anziehen, um sichtbares Schwitzen zu vermindern,
  • Alkohol oder Wärme vermeiden oder Fenster öffnen, um nicht zu schwitzen,
  • Alkohol oder ein Medikament einnehmen, um Angstreaktionen zu unterdrücken, 
  • übermäßig viel Makeup verwenden, um bei Erröten nicht aufzufallen,
  • vermehrt reden, um unerträgliche Stille oder peinliche Sprechpausen zu vermeiden,
  • sich so platzieren, dass man nicht sofort bemerkt wird,
  • Blickkontakt vermeiden und auf den Boden oder anderswohin schauen,
  • vermeiden, über sich selbst etwas Persönliches zu sagen. 

 

 

Formen sozialer Ängste

      

Die meisten Menschen möchten bei den anderen gut ankommen. Soziale Ängste sind daher auf einem Kontinuum von normal bis krankhaft darstellbar. Verschiedene Fachleute haben unterschiedliche Typen sozialer Ängste herausgearbeitet. 

Deutschsprachige Autoren charakterisieren vier Formen sozialer Ängste in Zusammenhang mit den therapeutischen Konsequenzen:

  • niedrige soziale Angst und niedrige soziale Defizite („normale“ soziale Angst),
  • hohe soziale Angst und niedrige soziale Defizite (Phobie, eher leicht behandelbar),
  • niedrige soziale Angst und hohe soziale Defizite (Defizite, schwieriger und langfristiger zu behandeln),
  • hohe soziale Angst und hohe soziale Defizite (schwere Störung, aufwendige, langwierige Behandlung).

 

Französische Autoren unterscheiden vier Formen sozialer Ängste, die von normal bis krankhaft und von spezifisch bis generalisiert gehen: 

  • Lampenfieber („Bammel“): normale, situationsgebundene soziale Angst,
  • Soziale Phobie: situationsgebundene, krankhafte Angst,
  • Schüchternheit: normale, generalisierte soziale Angst,
  • Ängstlich-vermeidende Persönlichkeit: generalisierte, krankhafte soziale Angst.

 

Der englische Psychiater Isaac Marks, einer der „Väter“ der Diagnose „soziale Phobie“, unterscheidet zwei Arten von klinisch relevanten sozialen Ängsten, die auch einer dementsprechend unterschiedlichen Behandlung bedürfen:

  1. Sozialphobie im Sinne einer angstbedingten Hemmung (Sozialphobie im engeren Sinne),
  2. Sozialphobie als Folge eines sozialen Kompetenzdefizits (Mangel an sozialen Fertigkeiten).


Sozialphobie im engeren Sinn


Die Sozialphobie im engeren Sinn tritt bei Männern und Frauen gleich häufig auf, beginnt meist im Teenager-Alter, bezieht sich auf spezifische Auslösereize, ist durch ausgeprägte körperliche Reaktionen charakterisiert, ist nur gelegentlich mit anderen Problemen verbunden und wird durch eine Konfrontationstherapie behandelt. 

Die Betroffenen verfügen über normale soziale Fertigkeiten, weisen jedoch Ängste in Bezug auf eine oder mehrere soziale Situationen auf und zeigen starke körperliche Reaktionen bei der Konfrontation mit relevanten phobischen Reizen. 

Schüchternheit kann, muss aber nicht vorhanden sein. Viele sozial gehemmte Menschen weisen oft unpassende oder unzweckmäßige Verhaltensweisen auf. 

Sie entschuldigen sich oft, sind übertrieben höflich, schweigen zu viel, reagieren bei zu viel „Schlucken“ mit Aggressionsdurchbrüchen, sprechen eher über andere als mit anderen, reden zu viel über sich selbst, statt sich auf den anderen einzulassen, sind körperlich ausdruckslos, monoton in der Stimme und schauen beim Reden die anderen zu wenig an. 

Sozialphobie im Sinne eines sozialen Kompetenzdefizits


Eine Sozialphobie im Sinne eines sozialen Kompetenzdefizits tritt bei Männern häufiger auf als bei Frauen, beginnt schleichend in der Kindheit, weist diffuse phobische Ängste auf, zeigt sich wenig in körperlichen Reaktionen, ist häufig mit vielen anderen Problemen verbunden und wird am besten durch ein soziales Kompetenztraining im Rahmen einer Gruppentherapie behandelt. 

Sozialphobikern mit einem Defizit an sozialer Kompetenz, d.h. Menschen mit einer sozialen Angststörung, fehlen die nötigen Fertigkeiten, um soziale Situationen erfolgreich bewältigen zu können. 

Sie können Gespräche nicht beginnen, aufrechterhalten und beenden, wissen nicht, wie man sich in bestimmten Situationen verhält, sind schüchtern und haben allgemein Probleme im Umgang mit anderen Menschen. Sie weisen ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten in Bezug auf soziale Situationen auf, weil sie fürchten, kritisiert oder verspottet zu werden, nicht als normal angesehen zu werden, nicht zu wissen, was sie sagen sollen, die Kontrolle zu verlieren und in Panik zu geraten. 

Sie leben deswegen sehr zurückgezogen und sind oft sehr unglücklich oder depressiv. 

Die sozialen Defizite äußern sich durch oft lebenslange Schwierigkeiten im Knüpfen und Aufrechterhalten von sozialen Kontakten trotz des vorhandenen Wunsches danach sowie durch das ständige Bemühen, die Bedrohung der eigenen Person zu reduzieren, mit dem Ergebnis sozialen Rückzugs und starker Beeinträchtigungen im Beruf. 

Die schwierigsten sozialen Situationen für sozial defizitäre Personen sind Partys, Tanzen und andere enge Kontakte mit Menschen. 

Cafés, Restaurants und Gasthäuser, wo Anonymität möglich und kein direkter Kontakt mit anderen erforderlich ist, können dagegen meistens besucht werden. 

Typisch sind größere Probleme mit Gleichaltrigen als mit jüngeren oder älteren Personen, Schwierigkeiten im Kontaktaufnehmen mit fremden bzw. gegengeschlechtlichen Personen, Hemmungen beim Äußern eigener Gefühle und damit Vertiefen einer Beziehung. 

Das amerikanische psychiatrische Diagnoseschema DSM ermöglicht bei der Diagnose der sozialen Phobie die Zusatzkodierung „generalisiert“ und impliziert dabei zwei Subtypen, ohne den anderen Subtyp konkret zu benennen, sodass dafür in der Literatur unterschiedliche Bezeichnungen gewählt wurden (nicht-generalisiert, spezifisch, Leistungstyp).

Die Unterscheidung von Subtypen ist umstritten: Die Kriterien sind zu wenig konkret und erlauben keine klare Differenzierung der beiden Formen sozialer Phobien.

Eine generalisierte Sozialphobie ist dann zu kodieren, wenn „die Angst fast alle sozialen Situationen betrifft“.

Jedenfalls werden nach dem Ausmaß der Generalisierung zwei Arten von Sozialphobien unterschieden: 

  • Sozialphobie – Leistungstyp
  • Sozialphobie – generalisierter Typ. 

 

Sozialphobie – Leistungstyp

 

Die nicht generalisierte (spezifische) Sozialphobie wird gewöhnlich mit der Angst in sozialen Leistungssituationen gleichgesetzt, obwohl dies im DSM explizit nicht so definiert ist.

Eine Sozialphobie vom Leistungstyp ist eine nicht generalisierte, d.h. eine im DSM allerdings nicht so bezeichnete „spezifische Sozialphobie“, die der Sozialphobie im engeren Sinn nach Marks entspricht.

Spezifische soziale Ängste beziehen sich auf Reden, Essen, Schreiben, Leistungssituationen (Prüfung, Reden in der Öffentlichkeit, sportliche Betätigung usw.).

Als Auslöser dient oft ein einschneidendes Erlebnis (z.B. Ausgelachtwerden beim Stottern während eines Referats, Verspottung bei einer ungeschickten Turnübung, Händezittern beim Essen oder Schreiben an der Tafel).

Häufig trat – von den anderen unbemerkt – eine Panikattacke oder eine panikähnliche Reaktion auf, die die Angst vor Auffälligkeit verstärkte.

Die Angst bewirkt eine Hemmung an sich vorhandener Fertigkeiten und geht mit körperlichen Symptomen einher. 

Die Störung ist begrenzt auf spezifische Leistungssituationen vor den Augen anderer Menschen, während in allen anderen Bereichen eine gute soziale Funktionsfähigkeit gegeben ist. 

Soziale Ängste vom Leistungstyp können aufgrund der damit verbundenen körperlichen Symptome zu einer plötzlichen Veränderung des Betroffenen führen, die der Umwelt völlig unerklärlich erscheint, vor allem wenn der Betroffene vorher als kontaktfreudig und selbstbewusst galt. 

Bei der Behandlung ist hier neben einer Konfrontationstherapie eine kognitive Umstrukturierung (Denkmuster ändern) angebracht. 

Eine spezifische Sozialphobie beginnt durchschnittlich im 16. oder 17. Lebensjahr und hängt oft mit situativ bedingten Panikattacken zusammen.

Die Störung führt später zu Beeinträchtigungen im schulischen und beruflichen Bereich, verstärkt durch berufliche, schulische oder private Veränderungen wie Umzug, Schul- oder Arbeitsplatzwechsel, vor allem jedoch auch durch beruflichen Aufstieg, der zu einem unangenehmen Mittelpunkterleben führt.

Zwei Beispiele sollen diese Störung veranschaulichen: 

 

Ein 28-jähriger kaufmännischer Sachbearbeiter, der bisher stets im Hintergrund gearbeitet hatte, wird aufgrund seiner Tüchtigkeit zum Leiter einer Niederlassung des Konzerns bestimmt, in dem er seit seinem Schulabgang arbeitet. Nach einigen Monaten treten immer mehr körperliche und seelische Beschwerden auf. In allen öffentlichen Situationen, in denen er gleichsam eine Leistung erbringen muss, wie etwa eine Rede halten, eine Feier einleiten, eine Mitarbeiterehrung durchführen oder der obersten Geschäftsführung einen mündlichen Bericht abstatten, leidet er abwechselnd unter Herzrasen, Schwitzen, Übelkeit, Harndrang, Angst vor Händezittern und Stottern. Vor entsprechenden Ereignissen nimmt er einen Beta-Blocker in der Absicht, sein Herz zu beruhigen, und in der Hoffnung, dadurch nicht zu zittern, zu schwitzen oder sonst irgendwie sichtbar nervös zu wirken. Am Vorabend eines entsprechenden Ereignisses kann er aus Aufregung nicht einschlafen, sodass er ein Tranquilizer-Schlafmittel benötigt. Niemals in seinem Leben litt er so unter psychovegetativen Symptomen wie nach dem Karriereschub. Er fürchtet sich mehr vor seinen Mitarbeitern als diese vor ihm und hat ständig Angst sich zu blamieren. Erst später wird ihm bewusst, dass er sich auch schon in der Schule vor Prüfungen und in der Musikschule vor Soloauftritten besonders gefürchtet hatte. 

 

Ein 17-jähriger Schüler, der bislang keine sozialen Ängste gekannt hat, wird bei einem Referat in Deutsch plötzlich nervös und glaubt, sichtbar zu zittern und zu schwitzen. Er ist sich sicher, dass seine Schulkollegen dies bemerkt haben und ihn seither für einen unsicheren Menschen halten, obwohl ihn keiner darauf angesprochen hat. Er meldet sich im Unterricht in allen Fächern immer seltener aus Angst, negativ aufzufallen und ausgelacht zu werden. Vor mündlichen Prüfungen lässt er sich vom Hausarzt ein Beruhigungsmittel verschreiben oder von seiner Mutter einen Beruhigungstee zubereiten. Schließlich legt er auch seine Funktion als Klassensprecher zurück, weil er in dieser Rolle ebenfalls Gefahr laufen könnte, sich peinlich zu verhalten. 

Prüfungsangst – eine Sozialphobie vom Leistungstyp

 

Massive Prüfungsängste sind ein Spezialfall der spezifischen Sozialphobie. 

Ängste in Leistungs- und Prüfungssituationen sind normal, weil es sich dabei um persönlich bedeutsame Gelegenheiten handelt, die von den Betroffenen niemals völlig kontrollierbar sind. Das Ausmaß der Beeinträchtigung macht sie jedoch krankhaft. 

Prüfungsängstliche Menschen haben aufgrund ihrer Versagensängste oft wenig Selbstbewusstsein und setzen jedes Versagen mit der Ablehnung ihrer Person gleich. Sie überschätzen reale Anforderungen, stellen an sich überhöhte Erwartungen und unterschätzen ihre Fähigkeiten. 

Man kann zwei Arten von Prüfungsängsten unterscheiden:

1.  Angst in der Zeit der Prüfungsvorbereitung.
Die Angst verhindert die optimale Aufnahme des Lernstoffes und beeinträchtigt die Lernphase. Die Angst wird häufig durch negative Vorstellungsbilder aufgeschaukelt. 

2.  Angst während der Prüfung
Die Angst beeinträchtigt die Wiedergabe des gelernten Wissens und wird häufig durch massive körperliche Angstsymptome und deren ständige Beobachtung sowie durch die negative Bewertung des Prüfungsverhaltens verursacht bzw. verstärkt. 

 

Faktum ist: Zu wenig Angst macht sorglos und antriebslos, zu viel Angst wirkt geistig blockierend. Ein mittleres Ausmaß an Erregung und Angst garantiert die optimale Leistungsfähigkeit.

Das Lampenfieber von Schauspielern und Sängern ist ein bekanntes Beispiele dafür, dass leichte Angst und Anspannung das Leistungsvermögen steigern. 


Schüler und Studenten mit negativ-pessimistischen Erwartungen 


Die Betroffenen beschäftigen sich ständig mit dem möglichen Misserfolg, den Konsequenzen des Misserfolgs, den Selbstzweifeln und den negativen Bewertungen durch andere Personen (z.B. „Was wird der Lehrer bzw. der Vater hinterher sagen?“).

Sie beurteilen ihr Verhalten in der Prüfungssituation kritisch und selbstabwertend (z.B. „Ich schaffe die Prüfung nicht“, „Ich bin zu dumm, um das zu verstehen“, „Ich kann gar nichts“). Sie beobachten ständig die auftretenden körperlichen Angstsymptome und sehen darin eine Bestätigung ihrer Unfähigkeit.

Die körperlichen Symptome (z.B. Herzrasen, Atemnot, Übelkeit, Anspannung, Zittern) sind so stark, dass sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Dies verstärkt die Angst und führt bis zu panikähnlichen Symptomen, die nicht nur den Körper überaktivieren, sondern auch den Geist verwirren und blockieren.

Die negativen Selbstgespräche, die ständige Beobachtung des eigenen Körpers und die Beschäftigung mit den Folgen des vorweggenommenen Versagens führen in der Prüfungssituation zu einer geteilten Aufmerksamkeit

Die Aufmerksamkeit und Konzentration ist nicht mehr in vollem Ausmaß auf die Prüfungsvorbereitung bzw. auf die Aufgabenstellung gerichtet, sodass es zu einer Leistungsbeeinträchtigung kommt. 

Es zeigen sich mehr Flüchtigkeitsfehler, eine geringere Quantitätsleistung, eine niedrigere Durchhaltemotivation und eine Beeinträchtigung bei Aufgaben, die komplexere Denkprozesse erfordern. 

Die angstbedingten Denkblockaden verhindern die Aktivierung des gelernten Prüfungsstoffes und vermitteln aufgrund der negativen Leistungsdaten den Eindruck mangelnder Prüfungsvorbereitungen. 


Eine massive Prüfungsangst kann zu einem teilweisen Verlust des gelernten Wissens führen. 

Das Gefühl eines „leeren Hirns“ hängt mit der angstbedingten Ausschüttung der Stresshormone Kortison und Kortisol zusammen, die das Langzeitgedächtnis blockieren. 

Erst wenn sich die Menge der Stresshormone nach einiger Zeit auf den Normalwert eingependelt hat, funktioniert das Gedächtnis wieder in vollem Umfang. 

Prüfungsängstliche Schüler und Studenten werden häufig unter ihrem Wert geschlagen und entwickeln aufgrund des realen angstbedingten Versagens immer größere Prüfungsängste, Ohnmachterlebnisse und Minderwertigkeitsgefühle, die im Sinne eines Teufelskreises wiederum die Prüfungsergebnisse verschlechtern. 

Aus Angst vor dem Versagen entwickeln prüfungsängstliche Studenten oft perfektionistische, stresserhöhende Bewältigungsstrategien (Lernen ohne Pausen, Antreten zur Prüfung nur bei sicherem Wissen). 

Auch sehr gute Schüler können als Folge ihrer Denkmuster („Ich muss immer der Beste sein“, „Wenn ich das nicht weiß, bin ich doch nicht so gut, wie ich immer sein möchte“) unter belastenden Prüfungsängsten leiden.

Schüler und Studenten mit positiven Erwartungen 


Die Betroffenen erleben Angst und Unruhe als leistungssteigernd. Kompetenzgefühle und die positive Leistungserwartungen verhindern angstbedingte Leistungsblockaden.

Angst wirkt nicht lähmend, sondern fördert die Prüfungsvorbereitung und den Lerneinsatz. Sie stimuliert den Ehrgeiz, stärkt den Kampfeswillen, mobilisiert die Energiereserven und fördert die Umsetzung aller Kenntnisse und Fertigkeiten.

Die als aktivierend erlebte Angst intensiviert die Aufmerksamkeit, reduziert die Fehlerzahl, steigert die Leistungsmenge, verstärkt den Leistungseinsatz und erhöht die Ausdauer bei schwierigen Aufgabenstellungen.

Die körperlichen Symptome der Angst werden im Sinne eines Lampenfiebers als Zeichen notwendiger Energie zur Ausschöpfung aller Leistungsreserven interpretiert.

Unangenehme körperliche Angstsymptome werden zwar wahrgenommen, jedoch nicht durch ständige Beobachtung verstärkt.

Es gelingt eine Aufmerksamkeitsumlenkung von der Wahrnehmung der Angstsymptome auf die Bewältigung der Aufgabenstellung, sodass eine optimale Konzentrationsleistung gegeben ist. Eine Einstellungsänderung bewirkt eine Verringerung der Prüfungsangst. 

Dies ermöglicht eine optimale Konzentration auf die Aufgabenstellung, wodurch die Erfolgschancen erhöht werden. 

Versagensängstlichen Personen empfehle ich mein Selbsthilfebuch „Die Angst zu versagen und wie man sie besiegt“

 

 

Sozialphobie – generalisierter Typ

 

Eine generalisierte Sozialphobie entspricht eher dem Sozialphobiker mit Sozialkompetenzdefizit (mangelnde soziale Fertigkeiten und allgemeine Selbstunsicherheit).

Eine generalisierte soziale Phobie ist charakterisiert durch das Auftreten von Ängsten in vielen verschiedenen sozialen Situationen. 

Die Betroffenen fürchten sowohl öffentliche Leistungssituationen (vor anderen reden, essen schreiben usw.) als auch soziale Situationen (z.B. Kontaktaufnahme mit Fremden oder dem anderen Geschlecht).

Im Laufe der Zeit kommt es zu schweren Beeinträchtigungen in allen Lebensbereichen, sodass soziale, schulische und berufliche Probleme auftreten. 

Die Störung ist oft mit einer depressiven Symptomatik oder mit Alkoholmissbrauch verbunden. 

Generalisierte soziale Ängste treten gewöhnlich schon sehr früh auf (durchschnittlich mit 11-12 Jahren), jedenfalls vor dem 15. Lebensjahr. 

Häufig liegen zwar ausgeprägte soziale Defizite zugrunde, dennoch wird mit einer „generalisierten Sozialphobie“ insgesamt eher das Verhalten des ängstlich-gehemmten Sozialphobikers bezeichnet, während die schweren Formen sozialer Defizite als Persönlichkeitsstörung beschrieben werden: 

  • „ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung“ (ICD-10)
  • „vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung“ (DSM)


Bei der ängstlich-vermeidenden bzw. vermeidend-selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung treten Ängste in fast allen sozialen Situationen auf, weshalb in den Diagnoseschemata als Grundlage für derart generalisierte soziale Ängste eine dementsprechende Persönlichkeitsstruktur angenommen wird. 

Bei der sozialen Phobie werden soziale Situationen gemieden, bei der ängstlichen Persönlichkeitsstörung soziale Beziehungen überhaupt, bedingt durch die größere allgemeine Unsicherheit und Ängstlichkeit. 

Soziale Phobie und ängstliche Persönlichkeitsstörung unterscheiden sich nur durch den Schweregrad der Beschwerden voneinander. Beide Störungen liegen auf einem Kontinuum des Schweregrades der Gestörtheit (Ausprägung der Angst und der Defizite), wobei die ängstliche Persönlichkeitsstörung nur durch die besondere Schwere der sozialen Störung definiert ist. 

In einer amerikanischen Studie [80] an 1000 Personen aus der Durchschnittsbevölkerung bezeichneten sich 40% als dauerhaft schüchtern und 80% als zumindest zeitweise schüchtern. Dies weist darauf hin, dass soziale Phobien auf einem Kontinuum zu normalen Ängsten liegen. 

Die Trennung zwischen sozialer Phobie (sozialer Gehemmtheit) und sozialen Defiziten (ängstlicher Persönlichkeitsstörung) in zwei unabhängige Kategorien entspricht nicht der Realität. Bei einer Sozialphobie können auch soziale Defizite gegeben sein. 

Die sozialen Defizite bei einer ängstlich-unsicheren Persönlichkeit lassen sich ebenso erfolgreich therapieren wie bei einer Sozialphobie, sodass soziale Defizite nicht als zentrales Wesensmerkmal für eine definitionsgemäß nur relativ schwer veränderbare Persönlichkeitsstörung angesehen werden sollten. 

Personen mit einer generalisierten sozialen Angststörung verhalten sich in sozialen Situationen zwar weniger sozial kompetent als andere Menschen, dies drückt jedoch nicht unbedingt einen Mangel an sozialen Fertigkeiten aus, sondern kann auch in der unzulänglichen Umsetzung vorhandener Fähigkeiten liegen.

Zur Vermeidung eines falschen Therapieansatzes (z.B. eines reinen sozialen Kompetenztrainings) muss man zwischen sozialer Kompetenz (grundsätzlicher Verfügbarkeit eines sozial kompetenten Verhaltensrepertoires in sozialen Situationen) und sozialer Performanz (in sozialen Situationen aufgrund des Verhaltens tatsächlich gezeigter und beobachtbarer sozialer Kompetenz) unterscheiden. 

Oft kommt es in der Therapie nur darauf an, die Performanz zu verbessern, d.h. die Bedingungen, Einstellungen und Verhaltensweisen zu optimieren, die die Umsetzung der vorhandenen Fertigkeiten erleichtern. 

Eine generalisierte Sozialphobie muss auch nicht mit Schüchternheit im Sinne einer sozialen Befangenheit, einer Hemmung des spontanen sozialen Verhaltens und eines erhöhten Bewusstseins für die Beobachtung und Bewertung des eigenen Verhaltens durch andere Menschen in Zusammenhang stehen, Schüchternheit als erblich determinierter Temperamentsfaktor kann aber einen subklinischen Risikofaktor darstellen. 


Ein Beispiel soll das Leiden bei einer generalisierten Sozialphobie verdeutlichen:

 

Ein 34-jähriger allein stehender Arbeiter stellt sich dem Ausmaß seiner sozialen Ängste erst dann, als er wegen eines chronischen Alkoholmissbrauchs keinen Tropfen Alkohol mehr trinken soll. Plötzlich bemerkt er mehr als vorher seine sozialen Kontaktprobleme. 
Er kann sich in Gruppensituationen kaum äußern aus Angst, etwas Falsches zu sagen; er fürchtet Pausenzeiten in der Arbeit, weil er nicht weiß, was er mit seinen Arbeitskollegen reden soll; er verzichtet auf berufliche Aufstiegschancen, weil er dadurch mehr als bisher im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit anderer Menschen stehen könnte; er macht Weiterbildungsmaßnahmen nur widerwillig, weil er im Kurs als dumm auffallen könnte; er knüpft keine neuen Kontakte aus Angst, abgelehnt zu werden; er spricht aus Angst vor Nervosität und Rotwerden keine Frauen an, obwohl er sich seit langem eine Partnerin wünscht; er verwendet Ausreden, um Familientreffen zu entkommen, denn auch dort könnte er durch seine Zurückgezogenheit unangenehm auffallen; aus Nervosität entfällt ihm bei Gesprächen oft der Name seines Gegenübers.


Epidemiologie, Verlauf und Folgen der sozialen Phobie

 

Nach neueren Studien leiden in der Bevölkerung 7-13% im Laufe des Lebens, 6-8% im Laufe des letzten Jahres und 3-4% im Laufe des letzten Monats an einer Sozialphobie. 

Die Störung kommt bei jüngeren Menschen häufiger vor. Die Sozialphobie ist nach Depressionen und Alkoholproblemen die dritthäufigste psychische Störung und die häufigste Angststörung.

Ältere deutsche und amerikanische Bevölkerungsstudien erbrachten bei der Sozialphobie eine Lebenszeitprävalenz von 2,5%. Nach einer gesamtdeutschen Erhebung 1997-1998 bestand bei 2,0% der 16- bis 65-Jährigen in den letzten 12 Monaten vor der Befragung eine Sozialphobie. 

Nach einer repräsentativen Befragung in Bayern litten von den 18- bis 24-Jährigen 8,7% im Laufe des Lebens und 6,2% im Laufe der letzten 12 Monate unter einer sozialen Phobie. 

Nach einer nationalen Befragung in den Niederlanden im Jahr 1996 (NEMESIS) hatten 7,8% der Bevölkerung im Laufe des Lebens und 4,8% innerhalb der letzten 12 Monate eine soziale Phobie.


Nach der repräsentativen amerikanischen NCS-Studie [82] aus den frühen 1990er- Jahren ist die soziale Phobie mit einer Auftretenswahrscheinlichkeit von 13,3% im Laufe des Lebens (11,1% Männer, 15,5% Frauen), 7,9% innerhalb der letzten 12 Monate (6,5% Männer, 9,1% Frauen) und 4,5% innerhalb des letzten Monats (3,8% Männer und 5,2% Frauen) nach der Depression und der Alkoholabhängigkeit die dritthäufigste psychische Störung. 

Sozialphobien kommen bei Frauen 1,4-mal häufiger vor als bei Männern. Es besteht eine sehr hohe Komorbidität. 

81% der Sozialphobiker entwickeln im Laufe des Lebens eine oder mehrere psychische Störungen, deren Verlauf sich teilweise überschneidet. 56,9% der Sozialphobiker entwickeln eine andere Angststörung, 41,4% eine affektive Störung, 39,6% Substanzmissbrauch/-abhängigkeit. Bei drei Viertel der Fälle (77%) bestand die Sozialphobie bereits vor der Komorbidität.

Nach einer neuerlichen nationalen Befragung in den USA im Zeitraum 2001-2003 (NCS-R-Studie) auf der Basis der DSM-IV-Kriterien leiden 12,1% im Laufe des Lebens und 7,1% im Laufe der letzten 12 Monate an einer sozialen Phobie. Damit werden die älteren US-Daten mit ihren hohen Prozentwerten bestätigt. 

Es konnte auch eine große Komorbidität mit anderen psychischen Störungen (vor allem mit anderen Angststörungen, affektiven Störungen und Substanzmissbrauch) nachgewiesen werden. 

Mit der Zahl der sozialen Ängste stieg die Komorbidität mit anderen psychischen Störungen deutlich an, und zwar auf 90,2% bei Personen mit mehr als 11 sozialen Ängsten. 

Fast alle Menschen mit sozialen Ängsten im Ausmaß von mindestens einem Jahr (genau 92,6%) berichteten von einer Beeinträchtigung ihrer Lebenssituation, bei mehr als einem Drittel (36,5%) bestand eine erhebliche Beeinträchtigung in zumindest einem zentralen Funktionsbereich. 

Eine starke Beeinträchtigung von Menschen mit einer sozialen Phobie zeigte sich auch bei jenen Betroffenen, die keine weitere psychische Störung aufwiesen. 

Die soziale Phobie bzw. soziale Angststörung hatte umso früher im Leben begonnen, je mehr soziale Ängste die Betroffenen aufwiesen. 

Nachdenklich stimmt vor allem auch der Befund, dass die meisten Betroffenen an keiner phobiespezifischen Behandlung teilnahmen, und zwar umso weniger, je mehr soziale Ängste sie aufwiesen. 

Die häufigsten sozialen Ängste waren laut dieser Befragung Sprechängste in verschiedenen Situationen. Die Studie konnte keine speziellen Subtypen von sozialen Ängsten herausfinden, d.h. die häufige Unterscheidung zwischen leistungsbezogenen (spezifischen) und interaktionsbezogenen (generalisierten) sozialen Ängsten konnte nicht bestätigt werden. 


Bei der Mehrzahl der Betroffenen in der Bevölkerung besteht eine spezifische Sozialphobie. Die häufigsten spezifischen Sozialphobien sind die Redephobien

Im klinischen Bereich überwiegen generalisierte Sozialphobien. In klinischen Behandlungseinrichtungen ist die Sozialphobie nach der Agoraphobie die zweithäufigste Angststörung. 

Die Betroffenen beginnen eine Therapie häufig wegen anderer Probleme (Alkoholmissbrauch, vegetative Störungen, Depression, Selbstmordversuch). Sie begeben sich oft erst nach zwei Jahrzehnten in Psychotherapie. 

Von allen Angstpatienten beginnen Menschen mit einer sozialen Phobie am spätesten mit einer adäquaten Therapie, vermutlich weil sie ihre Störung mit ihrem Charakter gleichsetzen. 

Unter den Menschen mit krankhaften sozialen Ängsten, d.h. unter definierten Patienten, haben mindestens die Hälfte der Betroffenen generalisierte soziale Ängste im Sinne einer heute so genannten sozialen Angststörung. 

Die soziale Phobie ist die häufigste komorbide Störung bei anderen psychischen Störungen (sie bestand meistens bereits vorher).

Frauen haben im Vergleich zu Männern ein etwas höheres Risiko für eine soziale Phobie (Verhältnis 3:2), die Frauendominanz ist jedoch nicht so ausgeprägt wie bei anderen Angststörungen (Panikstörung, generalisierter Angststörung und spezifischen Phobien). 

Bei Frauen äußern sich soziale Ängste in anderer Form als bei Männern. Sie haben mehr soziale Ängste in Bezug auf Autoritäten, öffentliche Reden, Berichterstattung in Gruppen, Widersprechen, Beobachtung bei der Arbeit, Mittelpunkerleben oder Betreten von Räumen, in denen bereits Menschen sind. 

Das Auftreten und die Art der sozialen Ängste sind auch kulturabhängig. Soziale Phobien kommen in der westlichen Welt häufiger vor als in Asien. Viele Menschen in Japan und Korea haben mehr Angst davor, andere zu kränken oder in Verlegenheit zu bringen, als selbst emotional peinlich berührt zu sein oder gekränkt zu werden. Sie haben Angst, andere dadurch in Verlegenheit zu bringen, dass sie vor ihnen erröten, den Blick über ihren Genitalbereich gleiten lassen, einen unangenehmen Körpergeruch ausstrahlen oder einen unpassenden Gesichtsausdruck aufweisen. 

In asiatischen Ländern besteht eine viel größere soziale Gehemmtheit als in der westlichen Welt. Ein sozial zurückhaltendes und eher introvertiertes Verhalten entspricht dort eher den kulturellen Gepflogenheiten als in Europa oder Amerika. 

In ostasiatischen Ländern zeigt sich ein eher „kollektivistisches“ als ein „individualistisches“ Verhalten wie in den USA.


Die soziale Phobie nimmt vor allem bei der jüngeren Bevölkerung zu, bedingt durch soziale und gesellschaftliche Umstände (steigender Leistungsdruck). Sie setzt in immer früherem Alter ein und weist einen immer höheren Schweregrad auf. Dieser Eindruck ergibt sich zumindest aus dem Umstand, dass jüngere Menschen bei Befragungen häufiger soziale Ängste im Laufe des Lebens angaben als ältere Personengruppen. 

Vorübergehende soziale Ängste sind im Kindes- und Jugendalter relativ häufig. Soziale Phobien beginnen meist zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr (bei 75% vor dem 16. Lebensjahr) und damit früher als Panikstörungen und Agoraphobien. Eine generalisierte soziale Phobie beginnt durchschnittlich mit 10-13 Jahren, eine nicht generalisierte Sozialphobie mit 16-22 Jahren.

Ein Störungsbeginn nach dem 25. Lebensjahr ist selten. Bei Kindern stehen soziale Ängste oft mit bestimmten psychischen Störungen in Verbindung (selektivem Mutismus, Schulverweigerung, Trennungsangststörung, übermäßiger Schüchternheit und Gehemmtheit).

Der frühe Beginn sozialer Phobien im Kindes- oder Jugendalter macht es verständlich, dass sich aufgrund der auftretenden Defizite rascher als bei anderen Menschen auch weitere psychische Störungen entwickeln, vor allem Depressionen aufgrund mangelnder positiver Lebenserfahrungen.

Die häufigste soziale Phobie des Kindes- und Jugendalters ist die Schulphobie


Soziale Angststörungen zeigen eine starke familiäre Häufung. Das Risiko, soziale Ängste zu bekommen, ist für Kinder von Menschen mit sozialen Phobien etwa dreimal so hoch wie in unbelasteten Familien. Dies gilt vor allem bei generalisierten sozialen Phobien.

Nach Zwillingsstudien besteht eine Erblichkeit von 30-50%. Die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer sozialen Phobie ist deutlich erhöht bei einer temperamentbedingten, vermutlich ererbten Tendenz zur „Verhaltenshemmung“. Man versteht darunter die Neigung, auf neue (soziale und nicht soziale) Situationen nach außen hin gehemmt, scheu und zurückhaltend zu reagieren, während innerlich eine hohe autonome Erregung besteht (stabil hohe Herzfrequenz, erhöhte Kortisolwerte im Speichel). 

„Schüchternheit“ von Kindheit an ist laut amerikanischen Längsschnittstudien als konstitutioneller Faktor anzusehen; sie wurde bereits im Alter von 21 Monaten nachgewiesen, dauert bis in das Erwachsenenalter an und stellt noch keine Krankheitswertigkeit dar. 

Der Zustand der Schüchternheit wird erst durch das subjektive Erleben, nicht anders handeln zu können, zu einer anhaltenden Belastung. Es gibt viel mehr schüchterne als sozial ängstliche Menschen. Nicht alle schüchternen Menschen sind daher als Sozialphobiker anzusehen.

Im Vergleich zu schüchternen Menschen haben sozial ängstliche Personen weniger soziale Fertigkeiten, ein größeres Vermeidungsverhalten, einen chronischeren Verlauf, einen späteren Krankheitsbeginn und oft auch mehr Symptome. 

Soziale Ängste werden begünstigt durch bestimmte psychosoziale Belastungssituationen (soziales Außenseitertum der Familie, Außenseiter-Dasein im Kindergarten und in der Pflichtschule, alkoholkranker Elternteil, niedriger sozialer Status und Bildungsstand, geringes Einkommen, Arbeitslosigkeit) und ein bestimmtes Erziehungsmilieu (übertriebene Strenge und Kontrolle, überfürsorgliches Verhalten, wenig Zuwendung und Fürsorge).

Soziale Ängstlichkeit wird vor allem auch erlernt am Beispiel eines sozial unsicheren und ängstlichen Elternteils, was mit dem Begriff des Modelllernens bezeichnet wird (anderer Fachausdruck: „familiäre Transmission“).

Spezifische Phobien haben häufig Auslöser in Form eines „Minitraumas“ (z.B. peinlicher Auftritt bei einem Referat, Erfahrungen, von Mitschülern ausgelacht oder sekkiert zu werden).

Der Verlauf einer unbehandelten Sozialphobie ist gewöhnlich chronisch. Häufig besteht ein konstanter und phasenhafter Verlauf mit Schwankungen, nur bei der Minderheit kommt es zu Spontanremissionen, was die Notwendigkeit einer speziellen Psychotherapie aufzeigt. Viele Betroffene leiden schon 20 Jahre lang darunter. 

Soziale Phobien entwickeln sich langsamer als andere Angststörungen. Erste Anzeichen dafür sind eine ausgeprägte Schüchternheit oder Zurückhaltung, später resultieren daraus berufliche, schulische, soziale, familiäre oder private Probleme. 

Viele Betroffene leben unter ihren Möglichkeiten und verpassen die Chancen ihres Lebens. Single-Dasein, Schulabbrüche, Karrierenachteile und soziale Vereinsamung machen unglücklich. 


Mindestens drei Viertel der Sozialphobiker entwickeln im Laufe ihres Lebens weitere psychische Störungen, d.h. es besteht eine extrem hohe Komorbidität.

Die unzureichende Bewältigung einer sozialen Phobie bzw. sozialen Angststörung stellt einen Risikofaktor für weitere psychische Störungen war, vor allem für Depressionen und
Abhängigkeitserkrankungen.

Vor allem eine generalisierte soziale Phobie geht häufig mit Depressionen und Alkoholmissbrauch einher, während eine nicht generalisierte soziale Phobie eher mit Panikattacken in Verbindung steht oder zumindest von den Betroffenen als Panikstörung erlebt wird.

Eine Sozialphobie ist somit häufig die „Einstiegsstörung“ in die genannten „härteren“ psychischen Störungen, begünstigt aber auch die Ausprägung einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung, die Ausdruck der Verfestigung der Einstellungen und Verhaltensweisen ist. 

Eine Depression ist die häufigste Begleit- und Folgesymptomatik der sozialen Phobie und tritt (je nach Diagnosekriterien) in 14-50% der Fälle auf.

Sozialphobiker mit einer zusätzlichen Depression entwickeln eine schwerere Form von Sozialphobie als nichtdepressive Sozialphobiker.

Sozialphobiker mit einer Depression weisen eine besondere Überempfindlichkeit bei Kritik und Ablehnung auf.

Eine soziale Phobie ist keine harmlose Angstkrankheit, was sich auch in relativ häufigen Selbstmordgedanken und Selbstmordversuchen äußert. Bei rund 15% der Betroffenen kommen Selbstmordversuche vor.

Die depressive Verstimmung entwickelt sich oft als Folge der sozialen Hemmung und des ständigen sozialen Vermeidungsverhaltens, das keine positiven und aufbauenden Erfahrungen in Sozialkontakten ermöglicht.

Die Depression ist oft bedingt durch die Unzufriedenheit mit der jeweiligen Lebenssituation (geringe Durchsetzungsfähigkeit im beruflichen und privaten Bereich, Vereinsamung, wenig Verhaltensalternativen). Eine soziale Phobie geht auch oft mit einer Dysthymie einher. 

Viele Sozialphobiker (5-36%) benutzen Alkohol, um ihre Ängste zu dämpfen. Nach einer Studie entwickeln rund 20% der Sozialphobiker einen ausgeprägten Alkoholkonsum, der deutlich über dem von Agoraphobikern liegt. 

Zahlreiche Angst auslösende soziale Interaktionen erfolgen in Situationen, in denen auch Alkohol zur Verfügung steht (z.B. bei Verabredungen, Feiern, Essen im Restaurant). Umgekehrt finden sich unter Alkoholikern viele sozial ängstliche Menschen, die wegen ihrer Ängste zu trinken begonnen haben. 


Vor allem bei einem frühen Beginn der sozialen Phobie besteht die Gefahr der Entwicklung eines Alkoholmissbrauchs oder einer Depression. 

Die viel selteneren sozialen Phobien mit späterem Beginn sind eher die Folge anderer komorbider Störungen, z.B. einer chronifizierten Depression. 

Soziale Phobien können aber auch die Folge von Substanzmissbrauch sein und lassen sich dann erklären durch die befürchtete oder reale soziale Auffälligkeit (z.B. Entzugserscheinungen, soziale oder berufliche Probleme). 

Soziale Ängste wirken sich erheblich auf Partnerschaft, Familie, Beruf und Lebensqualität aus. 

Viele Menschen mit sozialer Phobie sind unverheiratet, haben keinen festen Partner, leben auch als Erwachsene noch immer zu Hause, bekommen Partnerprobleme wegen ihres Verhaltens, haben keine sexuellen Erfahrungen oder leiden unter sexuellen Problemen, haben nur einen kleinen Freundes- und Bekanntenkreis oder leben sozial isoliert. 

Die Betroffenen sind in höherem Ausmaß arbeitslos oder im Krankenstand, verdienen weniger als andere, werden unterqualifiziert eingesetzt und erreichen aufgrund ihres ständigen Vermeidungsverhaltens nicht jene beruflichen Positionen, die sie aufgrund ihrer Fähigkeit innehaben könnten. 

Eine Sozialphobie kommt auch gehäuft bei Personen mit einer Essstörung (Anorexie, Bulimie) und einer Dysmorphophobie vor. 

Zwänge stellen häufig einen Bewältigungsversuch von sozialer Unsicherheit und mangelnder sozialer Kompetenz dar. Dies wird oft erst deutlich, wenn die Zwänge vermindert oder sogar völlig beseitigt sind.

Rund 20% der Sozialphobiker weisen Zwangssymptome auf, die mit gefürchteten negativen sozialen Konsequenzen (Angst vor Kritik) zusammenhängen:

  • Ordnungs- und Putzzwänge aus Angst, bestimmte Sauberkeitsnormen nicht zu erfüllen (z.B. Angst vor Kritik durch die Schwiegermutter oder andere Besucher);
  • Kontrollzwänge aus Angst, den geforderten Perfektionsansprüchen nicht zu entsprechen (z.B. beruflicher Perfektionismus zur Vermeidung von Kritik durch den Chef);
  • Zwangsgedanken im Sinne der Vorwegnahme der gefürchteten negativen Reaktionen anderer, wodurch eine Handlungsunfähigkeit gegeben ist.



Differenzialdiagnose

 

Viele gesunde Menschen erleben zeitweise die Angst, sich in sozialen Situationen zu blamieren, fühlen sich dadurch aber nicht so belastet und beeinträchtigt wie Sozialphobiker. Insbesondere die Angst vor öffentlichem Sprechen führt dazu, dass zahlreiche Menschen den Auftritt in der Öffentlichkeit vermeiden, so gut es geht. 

Prüfungsangst, Sprechangst, Lampenfieber und Schüchternheit in Anwesenheit fremder Personen kommen häufig vor und sollten nur dann als Ausdruck einer sozialen Phobie diagnostiziert werden, wenn die dabei auftretende Angst belastend ist und die einsetzende Vermeidungstendenz zu einer ernsthaften Beeinträchtigung der schulischen, beruflichen oder sozialen Funktionsfähigkeit führt. Bei Prüfungsangst, Lampenfieber und Schüchternheit führt die Angst oder Vermeidung gewöhnlich zu keiner klinisch bedeutsamen Beeinträchtigung. 

Viele Fachdiskussionen, jedoch bislang keine ausreichenden empirischen Befunde gibt es zum Verhältnis zwischen Sozialphobie und Schüchternheit.

Schüchternheit ist eine subklinische Form von Angst und kommt bei vielen Menschen vor, die deswegen nicht beeinträchtigt wirken. Schüchterne erleben sich in ihren Lebensmöglichkeiten weniger eingeschränkt als Sozialphobiker. Schüchternheit ist nicht mit sozialem Rückzug oder sozialem Vermeidungsverhalten gleichzusetzen. Wenn aus schulischen, beruflichen oder sonstigen Gründen ein öffentlicher Auftritt unvermeidlich ist, können schüchterne Personen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit treten, während Sozialphobiker oft vegetative Symptome bekommen, krank werden oder durch Ausreden die betreffenden Situationen zu vermeiden trachten. 

Gegenüber einer eher persönlichkeitstypischen Schüchternheit und subklinischen sozialen Ängsten geht eine Sozialphobie meist mit sehr belastenden körperlichen Symptomen einher. 

Die Abgrenzung der beiden Sozialphobie-Subtypen, die im ICD-10 nicht in dieser Form erwähnt werden, ist im Einzelfall oft nicht leicht oder nur schwer möglich, zumal im DSM keine ausreichend klaren Kriterien bestehen. Grundsätzlich gilt jedenfalls, dass die generalisierte Sozialphobie mehr sozialphobische (leistungs- und interaktionsbezogene) Situationen umfasst als die nicht-generalisierte (spezifische) Sozialphobie.

Eine klare Abgrenzung gegenüber der vermeidend-selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung wird im DSM nicht vorgenommen. Es gilt nur das grundsätzliche Kriterium, dass eine Persönlichkeitsstörung einen noch höheren Generalisierungsgrad aufweist, also noch mehr Ängste umfasst als die generalisierte Sozialphobie, und in stärkerem Ausmaß als grundlegende Beziehungsstörung mit einem sehr geringen und negativen Selbstwertgefühl zu sehen ist, während die soziale Phobie vor allem auf spezifische Handlungen bezogen ist und primär als Angst vor negativer Bewertung zu verstehen ist.

Dennoch sind die diagnostischen Kriterien derart ähnlich, dass im Falle einer generalisierten Angststörung oft auch eine selbstunsichere Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden kann.

Angesichts des diagnostischen Dilemmas, dass keine klar abgrenzbaren Störungskategorien vorhanden sind, bewährt sich beim derzeitigen Forschungsstand die Annahme eines Kontinuums unterschiedlicher Ausprägungsgrade von sozialer Angst: nicht generalisiert – generalisiert – vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung.    

20-25% der Personen mit einer spezifischen Sozialphobie und 70-89% der Menschen mit einer generalisierten Sozialphobie erfüllen gleichzeitig auch die Kriterien der vermeidend-selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung. 

Die Zusatzdiagnose einer vermeidend-selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung ist vor allem im therapeutischen Kontext bedeutsam, weil mit einer längeren Behandlungszeit gerechnet werden muss.

Die richtige Unterscheidung zwischen Sozialphobie und Agoraphobie mit Panikstörung ist das in der klinischen Praxis häufigste Problem. 

Sozialphobiker fürchten körperliche Symptome nur angesichts von sozialen Situationen. Bei einer Agoraphobie mit Panikstörung fürchten die Betroffenen um ihre körperliche Unversehrtheit, während es bei einer Sozialphobie um das Sozialprestige geht. 

Eine Unterscheidung ist auch durch die jeweils im Vordergrund stehenden Symptome möglich: Sozialphobiker fürchten in stärkerem Ausmaß sichtbare Symptome wie Erröten, Schwitzen oder Zittern, Agoraphobiker mit und ohne Panikattacken dagegen eher bedrohlich erscheinende körperliche Symptome wie Herzrasen, Atemnot, Brustschmerzen, mentale Kontrollverlustgefühle, Einengung der Bewegungsfreiheit und Entfernung von Sicherheit gebenden Personen, Situationen oder Objekten. 

Sozialphobiker können sich vor denselben Situationen wie Agoraphobiker fürchten, jedoch aus anderen Gründen, nämlich wegen der unerträglichen sozialen Beachtung und Beurteilung der eigenen Person („Was werden sich die anderen von mir denken?“, „Bestimmt halten sie mich für dumm“, „Ich könnte mich blamieren“). Nicht selten wird die soziale Phobie durch Ausreden zu verbergen versucht (z.B. „Ich finde Partys blöd“, „Ich mag diese Typen einfach nicht“, „Ich kann nicht mehr so viel fortgehen wie früher, weil ich zu Hause so viel Arbeit habe“, „Ohne meinen Mann freut mich das Fortgehen nicht“, „Ich bin nicht mehr so gesund wie früher“). 

Neben einer Agoraphobie oder einer Panikstörung kann im Längsschnittverlauf jedoch auch eine Sozialphobie bestehen, d.h. nicht selten ist auch eine Komorbidität gegeben. 


Bei einer generalisierten Angststörung gehen die Sorgen und Befürchtungen bezüglich vermeintlicher Katastrophen weit über soziale Situationen hinaus. Die Angst vor Peinlichkeit oder Demütigung steht nicht so stark im Mittelpunkt der Befürchtungen wie bei einer Sozialphobie, wenngleich sie vorhanden sein kann. 
Anders formuliert: Die Sorgen und Befürchtungen von Menschen mit einer generalisierten Angststörung bestehen unabhängig davon, ob die Betroffenen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen und von anderen bewertet werden können. 
Im Gegensatz zu den bei einer Sozialphobie typischen Symptomen wie Schwitzen, Zittern und Rotwerden stehen bei einer generalisierten Angststörung andere Symptome im Vordergrund (z.B. Kopfschmerzen, Verspannung, Schlafstörungen). 

Bei einer Depression beruht der soziale Rückzug nicht bloß auf der Angst vor sozialer Ablehnung, sondern vor allem auch auf mangelnder Motivation und Energie sowie auf allgemeiner Lustlosigkeit. Häufig führt eine langjährige und unbehandelte Sozialphobie wegen der fehlenden sozialen Verstärker zu einer sekundären Depression. 
Wenn die sozialen Ängste nur im Rahmen einer Depression bestehen und zusammen mit der Depression wieder verschwinden, ist keine zusätzliche Diagnose einer sozialen Phobie zu stellen. Wenn dagegen vor oder nach einer depressiven Episode ausgeprägte soziale Ängste bestehen, ist eine Doppeldiagnose angezeigt.

Bei einer Dysmorphophobie (körperdysmorphen Störung)beruht die Vermeidung sozialer Situationen ausschließlich auf der subjektiven Überzeugung, körperlich entstellt zu sein und nur deswegen unangenehm aufzufallen. 

Bei einer Zwangsstörung resultieren soziale Vermeidungsreaktionen aus der Befürchtung, sich bei anderen Menschen anstecken zu können und dadurch andere Personen anstecken zu können und infolgedessen Zwangsrituale durchführen zu müssen. 

Eine sekundäre soziale Phobie bei einer körperlichen Krankheit oder Behinderung führt nur wegen der zumindest teilweise begründeten Angst vor negativer Bewertung aufgrund einer tatsächlich gegebenen körperlichen Auffälligkeit zu einem sozialen Rückzugs- und Vermeidungsverhalten. 

Kognitive Erklärungsmodelle: Ständige Beschäftigung mit sich und den anderen

 
Kognitiv-behaviorale Modelle der Sozialphobie umfassen folgende Komponenten: 

  • Biologische Vulnerabilität: Vererbung, Konstitution (Verhaltenshemmung, Schüchternheit), Amygdala-Überaktivität mit erhöhter Arousal, Neurotransmitterstörungen.


  • Soziale Faktoren: negative familiäre Erfahrungen (fehlende oder unsichere Bindungen, ungünstige Rollenvorbilder, elterlicher Erziehungsstil), negative Umwelterfahrungen (Traumatisierung, soziale Kritik, Ablehnung, Isolierung, Stigmatisierung).


  • Psychologische Faktoren: dysfunktionale, schwer korrigierbare Überzeugungen und Angst machende Denkmuster, Überfixierung auf soziale Angstsituationen und Körperreaktionen, erhöhte Selbstaufmerksamkeit, störende Emotionen (Angst vor Ablehnung, Peinlichkeit, Scham), soziales Vermeidungs- und Rückzugsverhalten.

 
Negative kognitive Schemata, in der Kindheit erworben, werden im späteren Leben immer wieder aktiviert und verstärkt.

Nach den kognitiv-verhaltenstherapeutischen Konzepten der Amerikaner Beck und Heimberg und der Engländer Wells und Clark entstehen Sozialphobien bei Menschen, die sich übermäßig mit sich selbst beschäftigen.

Aus Angst vor Misserfolg in sozialen Situationen sowie vor daraus resultierender sozialer Kritik werden potenzielle Gefahren übermäßig beachtet und dadurch überbewertet.

Die übermäßige Empfindlichkeit gegenüber den eigenen körperlichen Reaktionen (Hitzegefühl, Erröten, Schwitzen, Herzklopfen, belegte Stimme, Zittern) verstärkt den Prozess der erhöhten Selbstbeobachtung. Sozialphobiker wünschen sich in einer kleinen Gruppe die unbedingte soziale Akzeptanz durch jeden Teilnehmer.

Geringes Selbstvertrauen und verzerrte Selbstbewertung führen zu einem phobischen Vermeidungsverhalten, um befürchteter kritischer Beurteilung durch andere zu entgehen. Vermeidung reduziert kurzfristig die Angst, verstärkt sie jedoch langfristig wegen fehlender andersartiger Erfahrungen. Durch ihren sozialen Rückzug verhindern Menschen mit unzureichender sozialer Kompetenz gerade jene Lernerfahrungen, die ihnen für zukünftige soziale Situationen mehr Selbstsicherheit vermitteln würden.

Sozialphobiker haben auf sich selbst gerichtete „Metakognitionen“, d.h. Selbstbeobachtungen (Selbstfokussierung) der eigenen kognitiven Aktivitäten. Sie überwachen ihre kognitiven, wahrnehmenden, physiologischen und motorischen Prozesse, die während einer sozialen Interaktion ablaufen, werden dadurch sozial jedoch noch distanzierter und verlieren jede Spontaneität, was ihre soziale Ängstlichkeit verstärkt.

Die Konzentration auf die eigene Person und deren Wirkung auf andere beeinträchtigt die Zuwendung zum Interaktionspartner und dessen Äußerungen, was subjektiv als Konzentrationsstörung oder gar als Merkfähigkeitsstörung erlebt wird.

Es entwickelt sich ein Teufelskreis: Die Angst vor sozialen Misserfolgen und kritischen Urteilen führt zu einem verkrampften Bemühen um Fehlervermeidung, Unauffälligkeit und positiver Selbstdarstellung und infolgedessen zu erhöhter Aufmerksamkeit auf das eigene Tun, alles richtig zu machen.

Daraus resultiert eine Beeinträchtigung des spontanen Verhaltens. Die Art der Aufmerksamkeitszuwendung auf die Interaktionspartner („Was sehen die anderen an mir?“) verstärkt den Prozess der Selbstbeobachtung. Die damit einhergehende Gefahr der Auffälligkeit wird durch „Zusammenreißen“ zu überspielen versucht.

Wenn die soziale Auffälligkeit immer wahrscheinlicher erscheint, erfolgt ein sozialer Rückzug als Vermeidungsstrategie. Die damit verbundene mangelnde Erfahrung und fehlende Trainingsmöglichkeit im Umgang mit anderen Menschen führt zur Verstärkung der sozialen Unsicherheit und rechtfertigt das Rückzugsverhalten. 

Zwei Aspekte halten die Dynamik einer Sozialphobie aufrecht:

  • Die Person hat das Ziel, auf andere einen guten Eindruck zu machen.
  • Die Person bezweifelt ihre Fähigkeiten, dies zu erreichen.

 
Nach Aaron Beck findet man bei Sozialphobikern oft folgende innere Dialoge:
 

  • In welchem Ausmaß ist dies ein Test meiner Kompetenz oder meines Ansehens? 
  • Wie sehr muss ich mir oder anderen etwas beweisen?
  • Wie ist mein Status im Vergleich zu dem der anderen?
  • Wie wichtig ist es, eine Stärkeposition bezüglich des Status oder ein gutes Ansehen im Umgang mit sozial Bewertenden zu etablieren? 
  • Wie ist die Haltung der Bewertenden? Sind sie akzeptierend und verständnisvoll oder zurückweisend? Sind ihre Bewertungen objektiv oder hart und bestrafend?
  • In welchem Ausmaß kann ich auf meine Fähigkeiten zählen, um die Bewertung zu überstehen?
  • Mit welcher Wahrscheinlichkeit werde ich von ablenkenden Ängsten und Hemmungen verunsichert?

 
Studien haben folgende Erkenntnisse über Sozialphobiker erbracht:

  • Sozialphobiker weisen ein Übermaß an negativen selbstbezogenen Gedanken auf und erwarten negative Bewertungen von anderen.


  • Die negativen Gedanken von Sozialphobikern beziehen sich eher auf sich selbst als auf die Reaktion anderer.


  • Sozialphobiker berichten im Vergleich zu Agoraphobikern und normalen Kontrollgruppen, dass ihre Eltern Sozialkontakte mit anderen Familien weniger unterstützten, sie von neuen sozialen Erfahrungen eher abhielten, übermäßigen Wert auf die Meinung anderer legten und eher Scham als Disziplinierungsmethode einsetzten. 


  • Sozialphobiker überschätzen im Vergleich zu normalen Kontrollgruppen die Wahrscheinlichkeit eines negativen Ereignisses und unterschätzen die Wahrscheinlichkeit eines positiven Ausgangs.

 

  • Sozialphobiker führen einen negativen Ausgang einer sozialen Situation eher auf interne Faktoren (auf sich selbst und die eigenen Unzulänglichkeiten) zurück, ein positives Ergebnis dagegen eher auf externe Faktoren (Glück, Schicksal oder wohlwollendes Verhalten anderer). Da auch Depressive ähnlich denken, wurde das Merkmal Depression kontrolliert, dennoch blieb der erwähnte Sachverhalt bestehen.


  • Sozialphobiker erleben in sozialen Situationen und bei öffentlichen Reden eine verstärkte physiologische Erregung mit entsprechenden Symptomen, die möglicherweise für andere sichtbar sind (z.B. Erröten, Schwitzen, Zittern). 


  • Sozialphobiker überschätzen jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass ihre körperlichen Symptome von der Umwelt wahrgenommen werden („Sie sehen, was ich spüre“).


  • Sozialphobiker beachten bei experimentellen Aufgaben im Labor sozial bedrohliche Reize in übermäßiger Weise, was zu einer Leistungsbeeinträchtigung führt. Dies erklärt auch die Leistungsminderung bei Prüfungsangst.


  • Sozialphobiker weisen ein schlechteres Erinnerungsvermögen an den Gesprächs-inhalt einer Unterhaltung mit einem Versuchsleiter auf als nicht ängstliche Menschen. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine Merkfähigkeitsstörung (Speicherstörung, „Output-Störung“), sondern um eine angstbedingte Aufmerksamkeitsstörung („Input-Störung“). Bei unzureichender Aufmerksamkeit gegenüber Umweltreizen entsteht sekundär das Gefühl einer Merkfähigkeitsstörung. 


  • Sozialphobiker haben zu perfektionistische Standards, vermutlich zur Kompensation der vermeintlichen oder tatsächlichen Unzulänglichkeiten. 


Nach dem kognitiven Modell von Clark und Wells haben Sozialphobiker eine negative kognitive Repräsentation ihres Selbst. Aufgrund negativer Erwartungen konstruieren Sozialphobiker verzerrte Vorstellungen oder Bilder von sich selbst, wie die anderen sie angeblich sehen. 

Die erwarteten negativen Bewertungen des eigenen Verhaltens vonseiten der Umwelt werden verstärkt durch fehlerhafte Informationsverarbeitung und ungünstige Verhaltensweisen der Betroffenen. 

Sozialphobiker erschließen ihre Wirkung auf andere durch die Beobachtung des eigenen Verhaltens nach dem Motto „Wenn ich mich gut finde, werden mich auch die anderen gut finden; wenn ich mich nicht okay finde, werden mich auch die anderen nicht okay finden.“ 

Sie vernachlässigen die Rückmeldungen durch externe Reize; sie beobachten zu wenig die Reaktionen der anderen ihnen gegenüber, um daraus mehr Sicherheit und Vertrauen zu gewinnen, sondern gehen zu sehr von der eigenen Beurteilung ihres Sozialverhaltens aus. 

Sozialphobiker weisen drei Arten von Annahmen über sich selbst und ihre soziale Umwelt auf:

  1. Übertrieben hohe Maßstäbe für das Sozialverhalten, z.B. „Ich darf niemals meine Angst zeigen“, „Ich muss immer funktionieren, dann bin ich nicht angreifbar.“ 
  2. Dysfunktionale bzw. negative Überzeugungen zur eigenen Person, z.B. „Ich bin anders, dumm, langweilig, uninteressant, nicht unterhaltsam, nicht liebenswert.“ 
  3. Falsche Überzeugungen zur sozialen Bewertung bzw. zu den vermeintlichen Folgen des eigenen Verhaltens oder Erscheinungsbildes, z.B. „Wenn ich jemandem widerspreche, wird er mich ablehnen“, „Wenn meine Hände zittern, werden sie mich für nervenkrank halten“, „Wenn ich wenig sage, werden sie mich für langweilig oder dumm halten“, „Wenn sie mich näher kennen würden, würden sie mich ablehnen.“ 

 
Die negativen Erwartungen bewirken eine erhöhte Selbstaufmerksamkeit, Selbstbeobachtung und Selbstbewertung (einseitige Konzentration auf mögliche Fehler, Versagen, Blamagen und Peinlichkeiten im Verhalten). Sozialphobiker schließen aufgrund ihrer Angstgefühle oder körperlichen Erregung oft auf eine negative Verhaltensbewertung durch andere („Die anderen sehen in meiner Aufregung meine Schwäche“).

Die Fehlattribuierung von Angstsymptomen als Beweis für die negative Beurteilung vonseiten der Umwelt schaukelt den Teufelskreis bis zu situativen Panikattacken auf. 

Der negative Eindruck der eigenen Person beruht auf drei Quellen internaler Informationen:

  1. Die Betroffenen setzen „Sich-ängstlich-Fühlen“ gleich mit „Ängstlich-Aussehen“. Das subjektive Gefühl, innerlich ganz zittrig und angespannt zu sein, wird als sichtbares Zittern fehlinterpretiert.
  2. Spontan auftretende Vorstellungsbilder werden so erlebt, als wären diese bereits Realität, d.h. die Betroffenen erleben sich bereits so, wie in der eingenommenen Beobachterperspektive befürchtet. Die Angst, dumm oder nervös zu wirken, wird durch die Selbstbeobachtung als bereits gegeben angesehen. 
  3. Ein diffuser „gefühlter Eindruck“ bestärkt den negativen Eindruck des eigenen Selbst. Der Eindruck, sich nicht wohl zu fühlen und mit den anderen nicht zurechtzukommen, verstärkt die Selbstwahrnehmung, dumm und unfähig zu sein. 

 
Ein derartiges „Sicherheitsverhalten“ ist der Grund, warum oft trotz langer Konfrontation mit sozialen Situationen keine Habituation erfolgt. Die Betroffenen sind überzeugt, nur durch Vermeidung oder Hilfsmittel einer sozialen Auffälligkeit zu entgehen.

Bestimmte Sicherheitsverhaltensweisen vermindern in unvermeidbaren Situationen die Ängste und erwarteten negativen Bewertungen, z.B. soll ein Beta-Blocker oder Alkohol die innere Anspannung reduzieren oder leichte Kleidung das Schwitzen vermindern.

Das Sicherheitsverhalten, wie es für Sozialphobiker charakteristisch ist, 

  • besteht häufig in mentalen Prozessen (z.B. Nachdenken, wie man durch bestimmte Strategien einen guten Eindruck erwecken kann), 
  • ruft manche Symptome paradoxerweise erst recht hervor (z.B. kann das Vorlesen eines bis ins kleinste Detail vorbereiteten Textes die Anspannung erhöhen), 
  • bewirkt eine vermehrte Selbstaufmerksamkeit und Selbstbeobachtung (z.B. bei wahrgenommener innerer Anspannung noch mehr darauf achten, nicht zu zittern),
  • bestätigt nicht selten die Befürchtungen der Betroffenen (z.B. kann man wegen der ständigen Selbstbeobachtung von anderen als distanziert, überheblich, abwesend und unkonzentriert wahrgenommen werden) und verstärkt die Erwartungsängste. 

 
Die Fehlattribuierung von Körperempfindungen führt dazu, dass sich Körperempfindungen und kognitive Prozesse gegenseitig verstärken und aufschaukeln, ähnlich wie bei einer Panikstörung.

Die Erwartung zu schwitzen oder zu zittern führt zur vermehrten Selbstbeobachtung, entsprechende Empfindungen fördern die Vorstellung, dass die anderen dies bereits wahrnehmen, was die sozialen Ängste bis zur Panik verstärkt.

Die Fokussierung auf negative soziale Erfahrungen zeigt sich nicht nur in negativen Erwartungen und visualisierten Vorwegnahmen der vermeintlichen Katastrophen bereits lange vor den gefürchteten sozialen Situationen, sondern auch in der nachträglichen verzerrten Verarbeitung konkreter Sozialkontakte:

Unangenehme Körperempfindungen sowie negative Gedanken und Gefühle in der bereits überstandenen sozialen Situation werden immer wieder intensiv vergegenwärtigt, sodass trotz positiver Erfahrungen und positivem Feedback das insgesamt negative Selbstbild verstärkt wird.

Clark und Ehlers haben auf der Basis des kognitiven Erklärungsmodells sozialer Ängste zehn Hypothesen aufgestellt, die bereits großteils empirisch bestätigt sind:

  1. Sozialphobiker interpretieren externe soziale Ereignisse in einer übertrieben negativen Weise.
  2. Sozialphobiker zeigen eine selbstfokussierte Aufmerksamkeit, wenn sie in sozialen Situationen Angst haben.
  3. Sozialphobiker zeigen eine reduzierte Verarbeitung von externen sozialen Hinweisen, wenn sie ängstlich sind.
  4. Sozialphobiker erzeugen verzerrte, aus der Beobachterperspektive gesehene Bilder, wie sie in Angst auslösenden sozialen Situationen für andere erscheinen.
  5. Sozialphobiker benutzen interne Informationen, die durch selbstfokussierte Aufmerksamkeit zugänglich gemacht werden, um (falsche) Schlussfolgerungen zu ziehen, welchen Eindruck sie auf andere machen.
  6. Selbstfokussierte Aufmerksamkeit und Sicherheitsverhalten verhindern die Widerlegung negativer Überzeugungen und halten die soziale Phobie aufrecht.
  7. Sicherheitsverhaltensweisen und selbstfokussierte Aufmerksamkeit können soziale Interaktionen dadurch beeinträchtigen, dass Sozialphobiker weniger ansprechend für andere erscheinen.
  8. Die Verarbeitung externer sozialer Hinweisreize ist verzerrt zugunsten der Entdeckung und Erinnerung von Hinweisreizen, die als Anzeichen einer Abwertung durch andere interpretiert werden können.
  9. Sozialphobiker zeigen eine negativ verzerrte Informationsverzerrung in Erwartung Angst auslösender sozialer Situationen.
  10. Nach angstbesetzten sozialen Ereignissen nehmen Sozialphobiker einen längeren, verzerrten Rückblick auf das Ereignis vor.

Verhaltenstherapie bei Sozialer Phobie
 

Bei sozialen Phobien sind je nach Diagnose (spezifische oder generalisierte Sozialphobie) und Verhaltensanalyse (reine Sozialphobie oder komorbide Störung) unterschiedliche therapeutische Vorgangsweisen angezeigt: 


1.  Kognitive Therapie als grundlegender Therapiebaustein bei allen sozialen Ängsten


Aus der kognitiven Theorie der Sozialphobie der englischen Psychologen David M. Clark und Adrian Wells resultieren ganz bestimmte Behandlungsansätze. 

Es geht dabei um die Änderung der zentralen aufrechterhaltenden Faktoren der Sozialphobie, nämlich der selbstfokussierten Aufmerksamkeit, der negativen Verarbeitung des Selbst und des Sicherheitsverhaltens. 

Die Modifikation dieser Faktoren bietet den Betroffenen die Möglichkeit, ihre negativen Überzeugungen bezüglich ihrer Wirkung auf andere Menschen durch direkte Beobachtung zu verändern, statt sie durch ständige Selbstbeobachtung zu erschließen. 


2.  Konfrontationstherapie in der Vorstellung (in sensu) und in der Realität (in vivo) bei einer spezifischen Sozialphobie, wo aus Angst vor sozialer Kritik vorhandene soziale Kompetenzen nicht genutzt werden 


Spezifische Sozialphobien beruhen gerade auf der Angst vor ganz bestimmten Situationen, die durch Sicherheits- und Vermeidungsverhalten zu umgehen versucht werden. 

Auf diese Weise werden die soziale Phobie und soziale Defizite aufgrund mangelnder Übung verstärkt. 

Das Hamburger Therapiekonzept von Wlazlo geht bei sozialen Ängsten stärker im Sinne einer Konfrontationstherapie vor (Übungen in realen Situationen und weniger im Therapieraum). 

Dies ist gerade bei Menschen mit einer spezifischen Sozialphobie wichtig, die bei ausreichenden sozialen Kompetenzen ständig Angst vor Beurteilung haben. 

Für einen dauerhaften Therapieerfolg ist es erforderlich, eine Veränderung des zentralen Aspekts der sozialen Phobie, nämlich der Angst vor negativer Bewertung durch andere, zu erreichen. Sozialphobiker, die Kontaktprobleme eher wegen ihrer Hemmung aus Angst vor sozialer Kritik und nicht wegen eines fundamentalen Mangels an sozialer Kompetenz haben, benötigen Angst provozierende Übungssituationen zur Stärkung des Selbstvertrauens. 

Über Erfolge im Rahmen einer Konfrontationstherapie finden dabei indirekt auch Einstellungsänderungen statt. Es erfolgt dabei einerseits eine externe Realitätsüberprüfung („Die anderen tun nichts, was negativ oder bedrohlich wäre“), andererseits eine interne Realitätsüberprüfung („Ich kann mit den negativen Urteilen anderer besser leben, als ich geglaubt habe“). 


3. Training zur Verbesserung der sozialen Kompetenz bei generalisierten Sozialphobien und vermeidend-selbstunsicheren Persönlichkeitsstörungen


Ein früher Erklärungsversuch sozialer Phobien ging nach dem Modell sozialen Lernens von unzureichenden sozialen Fertigkeiten aus, bedingt durch fehlende effektive Modelle und mangelnde Verstärkung selbstsicherer Verhaltensweisen.

Die Beseitigung sozialer Defizite erfolgte traditionellerweise durch soziale Kompetenztrainings, die früher häufig „Selbstsicherheitstraining“ genannt wurden. 

Nach, neben oder anstelle einer kognitiv orientierten Einzeltherapie kann bei einem Defizit an sozialer Kompetenz auch nach den neueren primär kognitiven Therapiekonzepten eine kognitiv-behaviorale Gruppentherapie erfolgen. 

Das kognitive Modell der Sozialphobie nach Clark und Wells geht – im Gegensatz zu früheren Erklärungsmodellen sozialer Ängste – nicht von der Annahme erheblicher sozialer Kompetenzdefizite aus, wonach diese erst aufgebaut und entwickelt werden müssten, sondern sieht diese eher als Folgezustände des chronischen Sicherheits- und Vermeidungsverhaltens. 


4.  Training zusätzlicher Kompetenzen


Neben der Verbesserung sozialer Kompetenzen kann für Sozialphobiker mit ständig erhöhtem körperlichen Anspannungsniveau ein Entspannungstraining (progressive Muskelanspannung, Atemtechniken) sinnvoll sein.

Bei Patienten mit gleichzeitig gegebener generalisierter Angststörung, d.h. mit ständigem Sich-Sorgen mangels effizienter Problemlösungsstrategien, sowie bei Patienten mit vermeidend-selbstunsicherer Persönlichkeitsstörung, d.h. mit chronischen Flucht- und Vermeidungstendenzen aufgrund mangelnder interaktioneller Kompetenzen, kann ein Problemlösetraining hilfreich sein, um die bisherigen ineffizienten Problemlösungsroutinen durch effizientere Strategien zu ersetzen. 


5.  Behandlung komorbider Störungen


Soziale Phobien gehen häufig mit Substanzmissbrauch (Alkohol, Tranquilizer) und depressiver Störung (bis hin zu Selbstmordgedanken) als Folgeprobleme einher.

Die Behandlung von Menschen mit sozialen Phobien ist nur dann ausreichend wirksam, wenn vorher oder gleichzeitig auch die psychischen Begleitstörungen behandelt werden (Entzugsbehandlung, Psychopharmakotherapie, kognitiv-behaviorale Therapie der depressiven Störung).

Ein derartiges Vorgehen ist vor allem auch dann angezeigt, wenn der seltenere Fall gegeben ist, dass die soziale Phobie die Folge der sozialen Stigmatisierung bei ausgeprägter Substanzstörung ist oder die Umsetzung vorhandener sozialer Fertigkeiten nur durch eine starke Depression blockiert wird.

Bei Bedarf ist auch die Behandlung von Panikattacken angezeigt, da viele Sozialphobiker in sozialen Situationen oft auch panikartige Zustände erleben.

Außer im Falle einer Entzugsbehandlung kann bei depressiven Störungen auch eine stationär-psychiatrische Behandlung erforderlich sein, ebenso wie bei verschiedenen Sozialphobikern mit anhaltenden somatoformen Störungen eine psychosomatische Behandlung sinnvoll sein kann.
 
Die verhaltenstherapeutische Behandlung von Menschen mit sozialen Phobien wird in einigen deutschen und englischen Fachbüchern ausgezeichnet dargestellt.

Im Buch „Soziale Phobien“ von Stangier, Heidenreich und Peitz wird ein kognitiv-verhaltenstherapeutisches Behandlungsmanual vorgestellt, das auf dem kognitiven Erklärungsmodell und Therapiekonzept von Clark und Wells beruht.

Sehr detailliert wird – ähnlich wie im Buch „Soziale Phobie“ von Stangier, Clark und Ehlers – die kognitive Verhaltenstherapie der Sozialphobie als Einzeltherapie in fünf Phasen beschrieben:
 

1.  Eingangsdiagnostik und Modellableitung


Im Erstgespräch und in der Anfangsphase der Behandlung werden Anlass, Motivation und Ziele für die Therapie, aktuelle Lebenssituation, Entstehung und Verlauf der Sozialphobie, eventuelle weitere Störungen, frühere Behandlungsversuche, Störungs- und Erklärungsmodelle des Patienten erhoben, Rahmenbedingungen geklärt und auf der Basis der eingeholten Informationen das weitere Vorgehen vereinbart. 

Gemeinsam mit dem Patienten werden die negativen Denkmuster (z.B. „Ich bin unattraktiv und dumm“), die körperlichen Angstsymptome (z.B. feuchte Hände, Händezittern, Rotwerden), die Sicherheitsverhaltensweisen (z.B. schweigen, um nicht aufzufallen), die Art der erhöhten Selbstaufmerksamkeit und der selbstbezogenen Gedanken, Gefühle und Bilder sowie deren Zusammenhänge mit dem Sicherheitsverhalten und den Angstsymptomen identifiziert. 

Die gewonnenen Erkenntnisse nach dem Prinzip des „geleiteten Entdeckens“ vertiefen beim Patienten das Verständnis für das kognitiv-behaviorale Erklärungsmodell und festigen die Motivation für das daraus folgende Behandlungskonzept mit vorläufigen Therapiezielen. 

Der Patient erhält zur Förderung des Therapieprozesses zahlreiche Arbeitsunterlagen (Informations- und Arbeitsblätter bzw. Fragebögen). 

2.  Kognitive Vorbereitung auf die Exposition


Im Zentrum steht die Änderung der Faktoren der Informationsverarbeitung, die die unrealistischen Bewertungen stabilisieren und aufrechterhalten, nämlich die Art der Selbstaufmerksamkeit, der bildhaften Vorstellungen und des Sicherheitsverhaltens. 

Dabei werden innerhalb des Therapieraums Rollenspiele und Videofeedback eingesetzt, um Angstreaktionen zu aktivieren und bewältigen zu lernen. 

Videoaufnahmen ermöglichen eine Sicht von außen, aus der Beobachterperspektive, wie einen die anderen sehen, was die falschen Bewertungen auf der Basis des überkritischen inneren Erlebens korrigieren soll. 

Das bisherige Sicherheits- und Vermeidungsverhalten soll aufgegeben werden (z.B. keine Symptomunterdrückung, keine übermäßige Vorbereitung, kein Alkoholkonsum). 

Verhaltensexperimente als Hausaufgaben zur Überprüfungen der bisherigen Befürchtungen und zur Vermittlung neuer Denk- und Verhaltensweisen sollen den therapeutischen Prozess zwischen den Sitzungen fördern. 

3.  Exposition in vivo und Verhaltensexperimente


Nach den Erfahrungen und Erfolgen im Therapieraum erfolgt eine Konfrontation mit Angst aktivierenden Situationen in der realen Umwelt. 

Durch derartige Verhaltensexperimente in der Realität werden die negativen Überzeugungen überprüft und als unzutreffend erkannt. 

Dabei werden auch Mittelpunktsübungen durchgeführt, wo die Betroffenen bewusst auf sich aufmerksam machen nach dem Prinzip der paradoxen Intention, z.B. absichtlich zittern oder laut reden. 

Der Therapieeffekt beruht nicht einfach auf ausreichend langen und wiederholten Konfrontationen, bis eine Habituation einsetzt, sondern auf der realitätsadäquaten Informationsverarbeitung, dass nichts Schlimmes passiert. 

Eine Schulung der sozialen Wahrnehmung ist unbedingt angezeigt, damit Sozialphobiker die Reaktionen anderer Menschen richtig einschätzen lernen. 

Die Betroffenen sollen ihre Befürchtungen im Rahmen der Konfrontationstherapie nicht einfach besser aushalten, sondern überhaupt als unberechtigt erkennen lernen. Es wird daher eine adäquatere Form der Informationsverarbeitung trainiert. 

Bei den Expositionen in vivo sollen die Patienten ihre Wahrnehmung auf die soziale Umwelt und nicht ständig auf sich selbst richten, um eine angemessene Realitätsprüfung zu erreichen, sowie alle Sicherheitsverhalten unterlassen, die eine negative Bewertung verhindern könnten. 

4.  Verbale Überprüfung negativer Kognitionen


Nach der behavioralen, d.h. verhaltensbezogenen Überprüfung negativer Gedanken und Erwartungen, erfolgt in einem weiteren Schritt nach dem therapeutischen Grundprinzip des geleiteten Entdeckens und mithilfe der Methode des Sokratischen Dialogs eine verbale Überprüfung dysfunktionaler Gedanken und Grundüberzeugungen mit dem Ziel, angemessenere Kognitionen zu entwickeln. 

Dabei werden auch zwei typische Mechanismen falscher Informationsverarbeitung identifiziert und verändert: ständige Erwartungsängste (Worst-Case-Szenarien) und nachträgliche Umbewertungen (verzerrte Verarbeitung im Nachhinein). 

In dieser Therapiephase werden zahlreiche Strategien und Techniken der kognitiven Therapie eingesetzt. Die direkte Analyse und Änderung der vorhandenen Denkmuster (z.B. Annahme der sozialen Ablehnung) ist von zentraler Bedeutung, weil viele Sozialphobiker im Gegensatz zu Agoraphobikern ohnehin die meisten sozialen Situationen aufsuchen (wenngleich oft mit einem unguten Gefühl), ohne jedoch dadurch eine Symptomreduktion zu erreichen. 

5.  Therapieabschluss und Rückfallprophylaxe 


Am Therapieende werden die Erkenntnisse und Fortschritte zusammengefasst, vom Patienten in Form einer „Therapiegeschichte“ schriftlich festgehalten, mögliche Auslöser für Rückfälle besprochen sowie Vereinbarungen für eventuelle Auffrischungs- oder Krisensitzungen getroffen.

Das Gruppentherapiekonzept des amerikanischen Verhaltenstherapeuten Heimberg legt zu Therapiebeginn den Schwerpunkt auf die Analyse und Veränderung negativer kognitiver Muster, die den sozialen Ängsten zugrunde liegen.

Nach der kognitiven Umstrukturierung erfolgen Konfrontationsübungen in Form von Rollenspielen in der Gruppe sowie als Hausaufgaben.

Die Behandlung erfolgt in mehreren Therapiephasen:

1.  Aufbau von Therapiemotivation (Patienten mit ausgeprägter Sozialphobie können sich trotz Änderungswunsches eine Verhaltensänderung oft nicht vorstellen), Entwicklung einer guten Therapeut-Patient-Beziehung (viele Patienten halten anfangs kaum Kritik vonseiten des Therapeuten aus), Aufbau von Gruppenkohäsion (im Falle einer Gruppentherapie) sowie Vermittlung eines hilfreichen Störungsmodells.

2.  Konfrontation mit den phobischen Situationen: in der Gruppe (Rollenspiele), als Konfrontation in sensu (Vorstellungsübungen), als Konfrontation in vivo (gestufte oder massierte Konfrontationstherapie) sowie über ein Selbstinstruktionstraining.

3.  Übertragung der Lernerfahrungen auf den Alltag des Patienten. Durch entsprechende Hausaufgaben ist der Transferprozess auf die Lebenswelt des Patienten einzuleiten und abzusichern, da dieser sonst oft nur unzureichend erfolgt. Dabei ist neben neuen Handlungsweisen auch die Entwicklung neuer Sichtweisen wichtig.

4.  Kognitive Umstrukturierung: direkte oder indirekte Änderung von Denkmustern. 
 
 

Exkurs: Soziales Kompetenztraining

 
Im Bereich des Trainings sozialer Fertigkeiten werden verschiedene Begriffe verwendet, die unterschiedliche Aspekte erfassen:

Selbstsicherheit (englisch „Assertiveness“), wird verstanden als Einheit von Handlung, Kognition und Emotion. Auf diese Weise werden einseitige Konzeptionen vermieden, wie z.B. die Beschränkung auf „Selbstvertrauen“ im Sinne der stärker emotionalen Komponente oder die Einengung auf „Selbstbehauptung“ im Sinne der Komponente aggressiven Durchsetzungsverhaltens. „Selbstsicherheit“ verstand man früher als überdauernde, relativ situationsunabhängige Persönlichkeitseigenschaft.

Soziale Kompetenz bezeichnet das potenzielle Handlungsrepertoire, d.h. die grundsätzliche Verfügbarkeit von günstigen kognitiven, emotionalen und motorischen Verhaltensweisen in sozialen Situationen.

Der Begriff „soziale Fertigkeiten“ (social skills) beschreibt die manifeste Umsetzung in konkrete Verhaltensweisen.

„Soziale Kompetenz“ gilt heute als Oberbegriff für ältere Konzepte wie Selbstbehauptung, Durchsetzungsfähigkeit, Selbstsicherheit, soziale Fertigkeiten oder Selbstvertrauen.

Soziale Kompetenztrainings umfassen einen weiteren Gegenstandsbereich als die herkömmlichen Durchsetzungs- oder Selbstbehauptungstrainings, die in der Vergangenheit häufig ohne individuelle Verhaltensanalyse durchgeführt wurden.

Der Begriff der sozialen Kompetenz beschreibt keine situationsübergreifende Persönlichkeitseigenschaft, sondern umfasst unterschiedliche Verhaltensaspekte in Abhängigkeit von bestimmten sozialen Situationen und ihren Anforderungen.

Soziale Performanz umschreibt das in sozialen Situationen tatsächlich gezeigte und beobachtbare Verhalten umschreibt.

Viele Sozialphobiker werden trotz vorhandener sozialer Kompetenzen wegen unzureichender sozialer Performanz als auffällig, seltsam, befremdend, abweisend oder kühl erlebt.

Nach maßgeblichen Autoren wie Hinsch und Pfingsten gehört zur Definition sozialer Kompetenz beides: die Verfügbarkeit und die Anwendung sozial günstiger Verhaltensweisen.

Soziale Defizite wurden früher überbetont. Die Modelle zur Erklärung sozialer Ängste und Phobien haben in der Vergangenheit die Defizite hinsichtlich sozialer Performanz zu wenig berücksichtigt und Sozialphobikern oft vorschnell einen Mangel an sozialer Kompetenz unterstellt.

Die Mehrzahl der Sozialphobiker setzt die vorhandenen sozialen Fertigkeiten nicht ein. Die unzureichende Unterscheidung zwischen sozialer Kompetenz und sozialer Performanz kann zu einem falschen therapeutischen Vorgehen führen. Es wird dann etwas trainiert, was die Betroffenen bereits können, jedoch nicht einsetzen.

Exposition anstelle von Vermeidung ist sehr wichtig. Eine massive Form der sozialen Konfrontation ist die Symptomprovokation, auch paradoxe Intention genannt, d.h. der Vorsatz bzw. Ratschlag, genau das zu tun, was man am meisten fürchtet: Rotwerden oder Schwitzen von sich aus ansprechen, absichtlich zittern, bei Sprechangst die Nervosität öffentlich bekannt geben, durch auffälliges Verhalten auf sich aufmerksam machen oder bestimmte gefürchtete Personen bewusst ansprechen.

Es wird auf alle Vermeidungsreaktionen und Sicherheitsverhaltensweisen verzichtet.

Bei derartigen Mittelpunktsübungen machen die Betroffenen nach einem bestimmten Plan auf sich aufmerksam und riskieren eine bislang gefürchtete Kritik vonseiten der Umwelt.

Symptomprovokationen können bei vielen Menschen mit chronischem Vermeidungsverhalten sinnvoll sein, wenn es gilt, unberechtigte Ängste vor sozialer Ablehnung durch Erfahrung zu widerlegen, können aber ohne Berücksichtigung der Lebenserfahrungen und der Persönlichkeit des Patienten zu symptomverstärkenden Retraumatisierungen führen.

Der Effekt der erhofften Habituation kann außerdem durch bestimmte Interpretationen zunichte gemacht werden, z.B. „Bei einer solchen Übung kann ich mich durchaus auffällig verhalten, in bestimmten für mich wichtigen Situationen darf ich mich aber nicht blamieren, weil ich sonst erledigt bin.“ Dies zeigt die Kontextabhängigkeit von sozialen Phobien: In einem irrelevanten Kontext gelingt es leicht, furchtlos zu handeln.

Therapeutisch sinnvolle Verhaltensexperimente unterscheiden sich von therapeutisch kontraindizierten übertriebenen „Shame-attack-Übungen“ dadurch, dass es sich um keine übermäßig peinlichen oder ungehörigen Verhaltensweisen außerhalb der gesellschaftlichen Verhaltensnormen und auch um keine traumatisierende Bloßstellung der Betroffenen handelt. Manche Verhaltenstherapeuten halten solche Peinlichkeitsübungen (z.B. mit erhobenen Händen gehen, laut mit sich selbst reden) jedoch für hilfreich.

Die kognitiven Verhaltenstherapeuten Clark und Wells kritisieren den unreflektierten Einsatz von sozialen Kompetenztrainings, denn es sind bestimmte Kognitionen, die die Umsetzung der vorhandenen Fähigkeiten blockieren, z.B. „Ich könnte mich zwar durchsetzen, aber dann ist mein Partner beleidigt, und das halte ich nicht aus, wenn ich nicht jederzeit geliebt werde.“ 

Das Vermeidungsverhalten von Menschen mit sozialen Ängsten und Phobien hat den Charakter eines Sicherheitsverhaltens, das die Betroffenen vor unangenehmen Erfahrungen wie Peinlichkeit und Abgelehnt-Werden bewahren soll.
 
Bei einem Training sozialer Fertigkeiten sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: 

  • lnteraktionelle Sichtweise bestimmter Verhaltensweisen im Gesamtkontext. Es muss der Kontext von Partnerschaft, Berufssituation u.a. berücksichtigt werden. Welche Bedeutung hat ein bestimmtes Verhalten in einer konkreten Situation? Jedes Verhalten hat eine unterschiedliche Bedeutung und Funktion, je nach Situation, Kontext, Art und Stadium der Interaktion, Art und Anzahl der Personen und ihren Zielen. 


  • Individuelle Anpassung an den Patienten. Was ist „echt“, was nur „antrainiert“? 


  • Reflexion der impliziten Ziel- und Wertvorstellungen. Wer bestimmt, was „sozial angepasst“ und „sozial kompetent“ ist? Erwünschte Standards in unserer Gesellschaft dürfen nicht unkritisch als Therapieziele übernommen werden.


Alle Therapiekonzepte zum Abbau sozialer Ängste müssen deren mögliche Funktionen im Rahmen der aktuellen Sozialbeziehungen berücksichtigen. 


Einige Beispiele sollen mögliche systemische Funktionen einer Sozialphobie vergegenwärtigen: 

  • Eine junge Frau mit sozialen Ängsten bleibt partnerlos an die Mutter gebunden, die seit dem Tod ihres Gatten allein nicht ausreichend lebensfähig ist.
  • Ein Mann mit sozialen Ängsten verbringt sein Leben in überenger Beziehung mit seiner Gattin und schränkt dadurch deren Freiheitsraum ein („Ich lebe ganz für Ehe und Familie, sie soll es auch tun“). 
  • Ein Jugendlicher mit sozialen Ängsten möchte sich von den Eltern erhalten lassen.

 
Soziale Kompetenztrainings werden heutzutage nicht nur bei Menschen mit Angststörungen und Selbstunsicherheit, sondern auch bei Patienten eingesetzt, die ganz unterschiedliche Diagnosen aufweisen (z.B. Depression, Zwangsstörung, Schizophrenie, sexuelle Störung, Essstörung, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch, psychosomatische Störungen, Behinderungen verschiedener Art).

Der amerikanischen Psychologen Arnold Lazarus definierte in den frühen 1970er-Jahren soziale Kompetenz anhand von vier Fertigkeiten, was für die therapeutische Praxis große Auswirkungen hatte: Nein sagen können, Wünsche und Forderungen stellen können, Sozialkontakte beginnen und beenden können, positive und negative Gefühle offen ausdrücken können.

Das Assertiveness-Training-Programm (ATP) von Rüdiger Ullrich und Rita de Muynck aus den 1970er- und 1980er-Jahren fand im deutschen Sprachraum, ausgehend von München, vor allem auch im klinischen Bereich weite Verbreitung. Eine Gruppentherapie mit einer Dauer von rund 10 Monaten (35 Doppelstunden) wird mit Einzelsitzungen kombiniert. Eine komplette Therapie dauert 1-2 Jahre.

Das Therapiekonzept bezieht sich auf vier Generalisationsbereiche sozialer Ängste:

  • Angst vor Ablehnung beim Äußern eigener Bedürfnisse,
  • Angst vor Ablehnung bei der Abgrenzung gegen Übergriffe von anderen, 
  • Angst vor Kritik oder Fehlschlägen,
  • Angst vor sozialen Kontakten. 

 
Die Verbesserung sozialer Fertigkeiten wird über folgende Therapieziele angestrebt:

  • Berechtigte Forderungen stellen lernen: Auskünfte erfragen, sich beschweren, auf etwas bestehen, jemanden um etwas bitten, etwas für sich oder für andere verlangen, gegen Unrecht protestieren. Das Verhalten soll energisch und bestimmt sein. 


  • Unbillige Forderungen oder Bitten anderer abschlagen und Nein sagen lernen: sich nicht ausnutzen lassen, es nicht allen recht machen wollen, auf die eigenen Bedürfnisse achten und es aushalten lernen, dass andere deswegen verärgert sein könnten, Auseinandersetzungen nicht konfliktscheu ausweichen, etwas ablehnen, eine Bitte abschlagen, einen Vorschlag zurückweisen. Das Verhalten soll nicht aggressiv, sondern freundlich-bestimmt sein. 


  • Kritik äußern und ertragen sowie öffentliche Beachtung aushalten lernen: Kritik offen, bestimmt und in akzeptabler Form ausdrücken, berechtigte Kritik annehmen, absichtlich einen Fehler machen, im Mittelpunkt stehen (z.B. Vortrag, laut reden). 


  • Kontakte herstellen und aufrechterhalten lernen: Gespräche beginnen und aufrechterhalten, eigene Gefühle mitteilen, auf andere eingehen, körperliche Nähe ertragen, Verabredungen treffen, nonverbale Kontaktfähigkeit entwickeln (Blickkontakt, Lächeln, bestimmte Körperhaltung, Stimme usw.). 


Beim Selbstsicherheitstraining folgt auf die „Grundstufe“ eine „Fortgeschrittenen-Stufe“, wo eine differenzierende Anwendung selbstsicheren Verhaltens im Freundeskreis, am Arbeitsplatz und in der Familie bzw. Partnerschaft angestrebt wird.

Als Methoden werden Verhaltensübungen, Rollenspiele, Modelllernen, Feedback, Videotraining und Hausaufgaben eingesetzt. Das Programm wird im Regelfall unter Teilnahme von zwei Therapeuten, die als Modell für das einzuübende Verhalten dienen, in Form einer Gruppentherapie mit Einzelbehandlungen kombiniert, kann aber auch als reine Einzel- oder Gruppentherapie zum Einsatz kommen.

Die sehr detailliert und differenziert ausgearbeiteten und nach steigender Schwierigkeit aufeinander aufbauenden Übungen sollten nicht einfach – wie dies leider oft genug erfolgte – als reines Übungsprogramm zum Eintrainieren von erwünschten Standardverhaltensweisen eingesetzt werden und auch nicht sklavisch genau in der vorgegebenen Reihenfolge absolviert werden, sondern (was die Autoren stets betont haben) sehr individualisiert erfolgen auf der Basis einer exakten Verhaltens- und Zielanalyse bei jedem Therapieteilnehmer.

Die starke Durchstrukturierung des Selbstsicherheitstrainings hängt mit dem Bedürfnis nach Standardisierung für Forschungszwecke zusammen, d.h. man wollte das seinerzeit neue Programm an größeren Patientenzahlen empirisch überprüfen. Gegenüber simplifizierenden Anwendungsformen stellen die Autoren fest [63]:

„Konfrontation ohne Berücksichtigung von Abwehrstrategien oder ‚reines Üben’ ohne Beseitigung der Bedingungen, die zur Vermeidung geführt haben, kann nicht als bedingungsanalytische Psychotherapie oder Verhaltenstherapie gelten.“

Das im deutschen Sprachraum weit verbreitete, seit über 25 Jahren ständig erweiterte, verhaltenstherapeutisch fundierte und als effizient evaluierte „Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK)“ der deutschen Psychologen Rüdiger Hinsch und Ulrich Pfingsten fördert im Rahmen von sieben Sitzungen, unterstützt durch zahlreiche Fragebögen, Informations- und Arbeitsblätter, drei Arten von Skills:

  • die Fertigkeit, ein (mehr oder minder) formales Recht durchzusetzen,
  • ein kompetentes Verhalten in Beziehungen,
  • die Fertigkeit, um Sympathie zu werben. 

 
Auf der Basis dieses Programms wurde von Rüdiger Hinsch und Simone Wittmann das Selbsthilfebuch „Soziale Kompetenz kann man lernen“ verfasst.

Ein 2006 veröffentlichtes, ebenfalls sehr umfangreiche deutsche Therapiekonzept Soziales Kompetenztraining. Gruppentherapie bei sozialen Ängsten und Defiziten“, herausgegeben von Heike Alsleben und Iver Hand, stellt die Entwicklung eines verhaltenstherapeutisch orientierten Autorenteams großteils aus Hamburg dar.

Es umfasst im Rahmen von 12 Sitzungen im Umfang von 150-480 Minuten (inklusive Exposition in vivo) und zwei Terminen vor sowie drei Terminen nach der Behandlung (nach 3, 6 und 12 Monaten) drei Therapiebausteine zu den Themen 

  • Angstbewältigung (Motivationsaufbau, psychoedukative Phase zur Thematik der sozialen Phobie, Schulung der adäquaten Wahrnehmungs- und Diskriminationsfähigkeit, Angstmanagement, Mittelpunktsübungen), 
  • Erhöhung der sozialen Kompetenz (allgemeine Grundlagen und spezielle Fertigkeiten der Kommunikation), 
  • Bearbeitung zugrunde liegender Problembereiche (individuelles Problemlösevorgehen in sieben Schritten, Aktivitätsaufbau, Entwicklung eines individuellen Störungsmodells).



Exkurs: Prüfungsängste

                
Prüfungs- und Sprechängste sowie Lampenfieber in Präsentationssituationen sind normale Leistungs- und Versagensängste, gelten jedoch als krankhaft im Sinne einer sozialen Phobie, wenn sie eine erhebliche Beeinträchtigung der Betroffenen darstellen, zu Problemen im sozialen Umfeld führen und – besonders im Kindesalter – die normale Entwicklung der Person verhindern. 

Bei prüfungsängstlichen Personen sind grundsätzlich ähnliche Interventionen hilfreich wie bei anderen Sozialphobikern: 

Besserer Umgang mit Emotionen und körperlicher Erregung

Es erfolgt kein Kampf gegen negative Gefühle und körperliche Verspannung, weil Unterdrückungsversuche die Probleme verschärfen. 

Die Betroffenen nehmen ihre emotionale und physische Befindlichkeit einfach an und haben dann mehr Kraft, sich zu Hause voll und ganz auf das Erlernen des Wissensstoffes und in der Schule bzw. auf der Universität intensiv auf die Aktivierung ihres Wissens zu konzentrieren, weil sie sich von nichts mehr ablenken lassen. 

Bestimmte Atem-, Entspannungs- und Selbsthypnoseübungen können bei Bedarf die körperliche Erregtheit vermindern. 


Aufmerksamkeitslenkung

Gefördert wird die Konzentration auf die Aufgabenstellung und nicht auf die eigene Person – auch nicht auf den Prüfer, was er denken könnte, oder auf die nächste Zukunft, wie die Prüfung ausgehen könnte. 

Es geht um die Konzentration darauf, was man jetzt tun kann und erreichen möchte (Erfolg), und nicht um die Konzentration darauf, was man vermeiden möchte (Misserfolg). 


Änderung von Gedanken und inneren Bildern

 Bei Prüfungsängsten ist eine stärker kognitive Therapie erforderlich und nicht einfach nur eine Änderung von Verhaltensweisen wie etwa häufigeres Melden im Unterricht, größere Bereitschaft zu Vorträgen und häufigeres Antreten zu Prüfungen. 

Die Betroffenen müssen ihre Denkmuster mit den ständigen Katastrophenfantasien, ihr geringes leistungsbezogenes Selbstvertrauen, ihren niedrigen Selbstwert und ihre permanente Selbstabwertung erkennen und durch andere Sichtweisen ersetzen lernen. 

Sie müssen mehr Sicherheit von innen heraus entwickeln und nicht einfach nur äußere Kontrollstrategien anwenden, um selbstsicherer zu wirken. 

Anstelle des früheren Perfektionsstrebens, alles lernen und wissen zu müssen, um auf diese Weise jede Kritik vermeiden zu können, wird der „Mut zur Lücke“ trainiert, d.h. die Bereitschaft zur Unvollkommenheit und Schwäche. 

In Form eines mentalen Trainings (Exposition in sensu) sollen sich die Betroffenen die Prüfungssituation möglichst plastisch und im Zeitlupentempo vorstellen lernen; sie sollen sich die gesamte Prüfungssituation möglichst realistisch vergegenwärtigen und sehr lebendig durchleben. 

Sie sollen vor allem auf die auftretenden Gefühle achten, sodass sie diese verbalisieren können, z.B. „Ich fürchte mich vor dem Prüfer; ich habe Angst, dass mir nichts einfällt; mir ist das ganz peinlich; ich fürchte, dass die anderen negativ über mich denken könnten wegen meines schlechten Abschneidens.“ 

Hilfreiche Selbstinstruktionstechniken und Bilder des Gelingens erleichtern eine selbstsichere Präsentation. 


Veränderung des Verhaltens (Verhaltenstraining, Exposition)

Bevorstehende Prüfungen und Präsentationen werden in Rollenspielform vor Zuschauern probeweise durchgespielt und hinterher besprochen. 

Die Betroffenen trainieren dabei, einen guten Kontakt mit den Zuhörern zu halten, anstatt ständig eine verunsichernde Selbstbeobachtung zu betreiben. 

Ein Videotraining als positives Feedback kann sehr hilfreich sein, weil die Betroffenen sich dann aus der Außenperspektive wahrnehmen lernen, aus der sie oft kompetenter und sicherer wirken, als sie sich innerlich fühlen.