Von der Furcht zur Phobie 

Spezifische Phobien verstehen

Die wichtigsten Hilfestellungen zur Thematik der Spezifischen Phobien finden Sie in meinem diesbezüglichen Patmos-Ratgeber um € 18,00.

Dieser Ratgeber fasst den aktuellen Wissenstand zur Forschung und Verhaltenstherapie bei Spezifischen Phobien allgemeinverständlich zusammen.

Dieses Buch sollte daher jeder lesen, der neben den Hilfen 1-3 an weiteren Anregungen und Hilfestellungen interessiert ist. 

Dieses Buch bietet in Teil 3 Hilfestellungen bei allen Formen von Spezifischen Phobien:


Teil 3

Selbsthilfe bei Spezifischen Phobien 

 

Das Grundkonzept: in neun Schritten zum Erfolg


Schritt 1: Spezifische Phobien besser verstehen und hilfreich analysieren: Profitieren Sie von mehr Wissen über Ihre Phobie   

Schritt 2: Denkmuster ändern: Entwickeln Sie hilfreichere Sichtweisen

Schritt 3: Körperliche Befindlichkeit verbessern: Nutzen Sie Entspannungstechniken und körperliche Aktivität 

Schritt 4: Aufmerksamkeit lenken: Konzentrieren Sie sich auf das, was im Moment hilfreich und wichtig ist 

Schritt 5: Achtsamkeit üben, Akzeptanz fördern: Nehmen Sie die gefürchteten Situationen und Ihre eigenen Reaktionen achtsam wahr

Schritt 6: Modelllernen: Nehmen Sie sich andere Menschen zum Vorbild 

Schritt 7: Sich selbst coachen: Führen Sie hilfreiche Selbstgespräche 

Schritt 8: Mentales Training: Bereiten Sie sich auf gefürchtete Situationen in der Vorstellung optimal vor 

Schritt 9: Gestufte Konfrontationstherapie: Stellen Sie sich schrittweise allen gefürchteten Objekten und Situationen 


 

Selbsthilfe bei Spezifischer Phobie, Tier-Typ

Furcht vor bedrohlichen und ekelerregenden Tieren 

 

Selbsthilfe bei Spezifischer Phobie, Naturgewalten-Typ

Furcht vor Höhen und Tiefen 

Furcht vor Dunkelheit 

Furcht vor großen und tiefen Gewässern 

Furcht vor Gewitter, Blitz und Donner 

 

Selbsthilfe bei Spezifischer Phobie, Blut-Spritzen-Verletzungs-Typ

Furcht vor allem, was „unter die Haut“ geht 

Furcht vor Blut und Verletzungen 

Furcht vor Spritzen und Zahnbehandlungen 

 

Selbsthilfe bei Spezifischer Phobie, Situativer Typ 

Furcht vor Räumen ohne Fluchtmöglichkeit

Furcht vor dem Fliegen – Flugangst als häufige Kombination von Situativer Phobie und Höhenangst

 

Selbsthilfe bei Spezifischer Phobie, andere Typen

Furcht vor Prüfungen

Furcht vor Erbrechen          

Furcht vor Verschlucken und Ersticken 

Historische Aspekte 


Phobien gelten seit der 6. Version der internationalen Klassifikation von Krankheiten (International Classification of Diseases ICD) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 1948 als eigenständige psychische Störung, neben der damals so genannten Angstneurose.

Eine Unterscheidung zwischen drei Arten von Phobien (Agoraphobie, Soziale Phobie und Einfache Phobien) erfolgte erstmals im amerikanischen psychiatrischen Diagnoseschema DSM-III aus dem Jahr 1980.

Wegen der missverständlichen Bezeichnung „Einfache Phobien“ wurde diese Kategorie im DSM-IV aus dem Jahr 1994 in „Spezifische Phobien“ umbenannt. Diese Phobien sind nicht einfach vom Ausmaß, sondern monosymptomatisch vom Umfang her.

Seit dem ICD-10 aus dem Jahr 1992, das in Deutschland seit dem Jahr 2000 und in Österreich seit dem Jahr 2001 verbindlich ist, werden die Phobien auch international in drei Grundformen eingeteilt: Agoraphobie, Soziale Phobie und Spezifische Phobien.

Die Spezifischen Phobien werden in fünf Subtypen unterteilt: Tierphobien, Naturgewaltenphobien, Situative Phobien (Klaustrophobie), Blut-Spritzen-Verletzungsphobien und andere Typen. 

Diese Unterscheidung blieb auch in den neuesten Diagnoseschemata bestehen, und zwar sowohl beim amerikanischen DSM-5 aus dem Jahr 2013 als auch beim ICD-11, das im Jahr 2019 von der WHO beschlossen wurde. 

Das ICD-11 wird in den kommenden Jahren in allen Mitgliedsländern unterschiedlich schnell eingeführt werden. Bei den Spezifischen Phobien bestehen nur geringe Unterschiede zwischen ICD-10 und ICD-11. 

Das ICD-11 unterscheidet sieben Angststörungen: Generalisierte Angststörung, Panikstörung, Agoraphobie, Soziale Angststörung, Spezifische Phobien, Trennungsangststörung und Selektiver Mutismus. 
 

Diagnostik Spezifischer Phobien nach dem ICD-10

 
Eine Spezifische Phobie (Code F40.2) nach den klinisch-diagnostischen Leitlinien des ICD-10 ist eine eng umschriebene Angst vor bestimmten, objektiv relativ ungefährlichen Orten und Situationen ohne gleichzeitige Agoraphobie oder Soziale Phobie.

Das Ausmaß der Beeinträchtigung im Leben hängt davon ab, wie leicht die Betroffenen die phobische Situation vermeiden können. Die Krankheitswertigkeit erfordert keine bestimmte Zeitdauer (im ICD-11 einige Monate).

Die Forschungskriterien des ICD-10, die Symptomatik genauer erfassen, definieren eine Spezifische Phobie durch vier zentrale Merkmale:

1.  Es besteht eine deutliche Furcht vor einem bestimmten Objekt oder einer bestimmten Situation (außerhalb einer Agoraphobie oder einer Sozialen Phobie) oder eine deutliche Vermeidung derartiger Objekte und Situationen. Als häufige phobische Objekte und Situationen gelten Tiere, Höhen, Donner, Fliegen, kleine geschlossene Räume, der Anblick von Blut oder Verletzungen, Injektionen, Zahnarzt- und Krankenhausbesuche.

2.  In den gefürchteten Situationen traten seit Beginn der Störung mindestens einmal einige der typischen Angstsymptome auf.

3.  Es besteht einerseits eine deutliche emotionale Belastung durch die Symptome oder das Vermeidungsverhalten und andererseits die Einsicht, dass diese übertrieben und unvernünftig sind.

4.  Die Symptome sind auf die gefürchtete Situation oder auf die Gedanken an diese beschränkt.
 
Spezifische Phobien werden durch zahlreiche externe Reize (Reize außerhalb des eigenen Körpers) ausgelöst. 

Das ICD-10 unterscheidet fünf Gruppen von Spezifischen Phobien: 

  • Tier-Typ: z.B. Insekten, Hunde. 
  • Naturgewalten-Typ: z.B. Sturm, Wasser.
  • Blut-Injektions-Verletzungs-Typ: z.B. Blutabnahme, Impfung
  • Situativer Typ: z.B. Fahrstuhl, Tunnel. 
  • Andere Typen: z.B. Angst zu erbrechen oder zu ersticken. 

 
Die Symptome einer Spezifischen Phobie sind von der Zahl und der Art her nicht verbindlich definiert, bestehen jedoch aus einigen anhaltend oder attackenartig auftretenden Symptomen aus der Gruppe jener 14 Angstsymptome, die auch für eine Panikattacke oder eine Agoraphobie typisch sind:
 
Vegetative Symptome:
1.     Herzstolpern, Herzklopfen oder erhöhte Herzfrequenz
2.     Schweißausbrüche
3.     fein- oder grobmotorisches Zittern
4.     Mundtrockenheit

Symptome im Brust- und Bauchbereich:
5.     Atembeschwerden
6.     Beklemmungsgefühl
7.     Schmerzen oder Missempfindungen in der Brust
8.     Übelkeit oder Missempfindungen im Bauchbereich (z.B. Unruhegefühl im Magen)

Psychische Symptome:
9.     Gefühl von Schwindel, Unsicherheit, Schwäche oder Benommenheit
10.  Gefühl, die Objekte sind unwirklich (Derealisation) oder man selbst ist weit entfernt oder „nicht wirklich hier“ (Depersonalisation)
11.  Angst vor Kontrollverlust, verrückt zu werden oder „auszuflippen“
12.  Angst zu sterben

Allgemeine Symptome:
13.  Hitzewallungen oder Kälteschauer
14.  Gefühllosigkeit oder Kribbelgefühle
 
Die Betroffenen erkennen, dass ihre Angst bzw. Furcht unangemessen, übertrieben und unvernünftig („irrational“) ist, können sie aber dennoch nicht kontrollieren. Wenn sich bestimmte Objekte und Situationen nicht vermeiden lassen, können sie diese unter großer Furcht und Belastung ertragen.

Spezifische Phobien treten oft gemeinsam mit situationsbezogenen Panikattacken auf.

Die zahlreichen, völlig unterschiedlichen Spezifischen Phobien haben inhaltlich nur eines gemeinsam: Es besteht eine subjektive Bedrohung durch einen externen Reiz (ein Objekt oder eine Situation), durch den im schlimmsten Fall Leib und Leben und im günstigsten Fall das Wohlbefinden der Betroffenen bedroht sein könnten. 
 
 

Diagnostik Spezifischer Phobien nach dem DSM-5

                               
Das amerikanische psychiatrische Diagnoseschema DSM-5 definiert eine Spezifische Phobie noch etwas präziser (allerdings ohne eine Liste typischer Symptome):
 

  • Es besteht eine ausgeprägte Furcht oder Angst vor einem spezifischen Objekt oder einer spezifischen Situation (z.B. Fliegen, Höhen, Tiere, Verabreichung einer Injektion, Anblick von Blut). 
  • Die phobischen Objekte oder Situationen rufen fast immer eine unmittelbare Furcht oder Angstreaktion hervor. 
  • Die phobischen Objekte oder Situationen werden aktiv gemieden bzw. nur unter starker Furcht oder Angst ertragen. 
  • Die Furcht oder Angst geht über das Ausmaß der tatsächlichen Gefahr durch die spezifischen Objekte oder Situationen hinaus und ist im soziokulturellen Kontext unverhältnismäßig. 
  • Die Furcht, Angst oder Vermeidung ist anhaltend, typischerweise länger als sechs Monate. 
  • Die Furcht, Angst oder Vermeidung verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. 
  • Das Störungsbild kann nicht besser durch die Symptome einer anderen psychischen Störung erklärt werden. 

 

Wie im ICD-10 werden fünf Subtypen unterschieden: 

  • Tier-Typ: z.B. Spinnen, Insekten, Hunde.
  • Umwelt-Typ: z.B. Höhen, Stürme, Wasser. 
  • Blut-Spritzen-Verletzungs-Typ: z.B. Injektionsnadeln, invasive medizinische Verfahren. 
  • Situativer Typ: z.B. Flugzeuge, Fahrstühle, enge, geschlossene Räume.
  • Anderer Typ: z.B. Situationen, die zu Ersticken oder Erbrechen führen könnten. 

 
Viele Betroffene weisen mehrere Spezifische Phobien auf. Eine Person mit Spezifischer Phobie fürchtet im Durchschnitt drei Objekte bzw. Situationen. Rund 75 Prozent fürchten mehr als eine Situation. 
 
 

Abgrenzungen gegenüber anderen Angststörungen 

 
Bei guter Kenntnis der Diagnosekriterien gelingt die Abgrenzung der Spezifischen Phobien zu anderen Angststörungen relativ leicht. Die folgenden Ausführungen sollen konkrete Hilfestellungen dazu bieten.

Von einer Panikstörung lässt sich eine Spezifische Phobie durch das Kriterium abgrenzen, dass Panikattacken bei einer Panikstörung spontan und unerwartet auftreten, das heißt ohne äußere Auslöser, wie „aus heiterem Himmel“, während sie bei einer Spezifischen Phobie ausschließlich in Zusammenhang mit den gefürchteten Objekten, Orten und Situationen auftreten und oft auch schon vorher erwartet und gefürchtet werden.

Eine Agoraphobie („Platzangst“) als multiple Situationsphobie zeigt Ähnlichkeiten mit einer Spezifischen Phobie, Situativer Typ.

Eine Klaustrophobie („Raumangst“) als monosymptomatische Angststörung ist auf eine eng umschriebene agoraphobische Situation beschränkt. Die Betroffenen fürchten ganz bestimmte Räume (Aufzüge, kleine, geschlossene, dunkle und überfüllte Räume, Verkehrsmittel auf, unter und über der Erde), die sie nicht jederzeit verlassen oder nur mit großem Unwohlsein ertragen können.

Eine Spezifische Phobie liegt auch dann weiterhin vor, wenn mehrere klaustrophobische Situationen gefürchtet werden. Menschen mit einer Agoraphobie weisen mindestens eine weitere Art von Angst- und Furchtreaktionen auf, und zwar in Bezug auf offene Plätze (Marktplätze, Parkplätze, Brücken), auf den Aufenthalt unter Menschenmengen bzw. das Schlange-Stehen in Geschäften sowie auf den Aufenthalt allein außer Haus, vor allem auch bezüglich weiter Entfernungen von zu Hause.

Zwei Beispiele sollen die zentralen Unterschiede verdeutlichen: Menschen, die nur geschlossene Räume in Flugzeugen, Bussen, Straßenbahnen, Zügen, Aufzügen und Häusern fürchten, leiden unter einer Klaustrophobie; Personen, die zusätzlich auch noch Menschenmengen unter freiem Himmel und das Stehen in einer Schlange fürchten, leiden unter einer Agoraphobie.

Menschen mit einer Sozialen Angststörung fürchten soziale Situationen wegen möglicher kritischer Beurteilung, peinlicher Blamage oder gar Ablehnung ihres Verhaltens oder ihrer Person und nicht wegen bedrohlicher Auswirkungen von äußeren Umständen auf ihren Körper und auch nicht wegen eines körperlichen Unwohlseins.

Menschen mit einer Generalisierten Angststörungen fürchten abwechselnd zahlreiche schlimme Ereignisse in der Zukunft, die jedoch nicht an bestimmte Objekte und Situationen gebunden sind.

Erwartungsängste in Bezug auf vermeintliche Bedrohungen angesichts bestimmter Objekte und Situationen sind keineswegs Ausdruck einer Generalisierten Angststörung, solange die Befürchtungen darauf beschränkt bleiben, sondern typische Zeichen einer sich ausweitenden Spezifischen Phobie.

Innerhalb der Gruppe der Spezifischen Phobien sind ebenfalls diagnostische Unterschiede zu beachten. Während Menschen mit Klaustrophobie nicht in Hochhäusern leben oder arbeiten können, weil sie im Falle von körperlichen Symptomen nicht schnell genug ins Freie gelangen könnten, fürchten Personen mit Höhenangst, dass das Haus jederzeit einstürzen und damit ihr Leben schlimm enden könnte. Während bei einer Liftphobie klaustrophobische Personen fürchten, dass der Aufzug stecken bleiben und sie dann ersticken könnten, fürchten höhenphobische Menschen den Absturz aus großen Höhen.

Während klaustrophobische Patienten sich nicht in unterirdischen Situationen aufhalten können, weil sie dabei zu wenig Luft bekommen könnten, fürchten höhenphobische Personen, dass die Höhe über ihnen einstürzen könnte.

Bei Flugangst leiden Menschen mit einer Klaustrophobie unter der Angst, im Falle einer Panikattacke oder eines sonstigen Unwohlseins nicht jederzeit aussteigen zu können, während Personen mit einer Höhenphobie den tödlichen Absturz fürchten. 
 
 

Abgrenzungen gegenüber magischen Befürchtungen und Zwangsgedanken


Verschiedene Befürchtungen, die primär mit magischem Denken und nach wie vor weit verbreitetem Aberglauben zusammenhängen, werden oft ebenfalls zu den Spezifischen Phobien gezählt und müssen in diesem Fall als „andere Typen“ klassifiziert werden, wenn sie tatsächlich eine gewisse Krankheitswertigkeit aufweisen.

Im Internet und in Zeitungen wird immer wieder die Furcht vor der Zahl 13 ausführlich dargestellt, die aufgrund des griechischen Wortes für 13 (triskaideka) den Namen Triskaidekaphobie trägt. Damit sind verschiedene Situationen und Umstände verbunden, die ein Vermeidungsverhalten auslösen.

Mit dem unaussprechlichen Namen Paraskavedekatriaphobie wird die Furcht vor Freitag, dem 13., bezeichnet. Ein derartiger Tag kommt ein- bis dreimal pro Jahr vor. Das damit verbundene Vermeidungsverhalten hat ein gut dokumentiertes, gesellschaftlich relevantes Ausmaß angenommen. Laut einer Studie leiden zwischen 17 und 21 Millionen US-Bürger unter der Furcht vor derartigen Freitagen, mit gigantischen sozioökonomischen Auswirkungen, da viele Betroffene an diesem Tag nicht in die Arbeit gehen.

Laut Kaufmännischer Krankenkasse (KKH) melden sich an einem Freitag, dem 13., in Deutschland drei- bis fünfmal mehr Versicherte krank als an anderen Tagen.

Hochgerechnet für ganz Deutschland, bleiben an einem derartigen magischen Tag eine Million Menschen der Arbeit fern. Dies führt laut der Zürich Versicherung andererseits aber auch dazu, dass an solchen Tagen weniger Schadensmeldungen eingehen. Zahlreiche Personen, die an diesem Tag doch mit dem Auto unterwegs sind, haben aus Angst vor einem Unfall möglicherweise eine höhere Aufmerksamkeit im Straßenverkehr als sonst.

Nach einer Befragung halten bis zu einem Drittel der Deutschen Freitag, den 13., für einen Unglückstag. In den spanischsprachigen Ländern und in Griechenland sind dagegen alle Dienstage, die auf den 13. eines Monats fallen, gefürchtet, in Italien wird dagegen Freitag, der 17., als Unglückstag angesehen. Im Judentum und in Japan gilt die Zahl 13 als Glückszahl.

Aus Rücksicht auf diesen ökonomisch sehr bedeutsamen Aberglauben und das damit verbundene Vermeidungsverhalten der Betroffenen fehlt in vielen Hotels die Zahl 13 bei den Stockwerken und auch bei den Türen, sogar die Zimmerpreise sind an diesem Tag wegen geringerer Buchungen oft niedriger als sonst. Selbst verschiedene Fluglinien vermeiden bei der Sitzplatznummerierung die Zahl 13, um den Fluggästen einen angenehmeren Flug zu garantieren.

Aufgrund des in der Regel möglichen Vermeidungsverhaltens und der diesbezüglichen gesellschaftlichen Erleichterungen besteht bei den meisten Betroffenen keine erhebliche Krankheitswertigkeit. Als Psychotherapeut mit Spezialisierung auf Angststörungen habe ich innerhalb von drei Jahrzehnten noch keinen einzigen Hilfesuchenden primär wegen dieser Befürchtung in Therapie gehabt.

Aus meiner Erfahrung besteht bei Menschen, die aufgrund derartiger magischer Denkmuster eine Psychotherapie benötigen, primär keine Spezifische Phobie, sondern eine Zwangsstörung, bei der oft auch noch andere Zahlenmagien sowie weitaus schwerwiegendere magische Denkmuster von Bedeutung sind. Die Zwangsstörung spiegelt sich vor allem in der Befürchtung bzw. sogar Überzeugung wider, dass von den Betroffenen ein Unglück für sie selbst oder für andere Menschen ausgeht, wenn sie nicht besondere Vorkehrungen rund um Zahlen treffen, die sich allesamt in „gute“ und „gefährliche“ einteilen lassen. Es geht dabei um zukunftsbezogene Befürchtungen, die die Betroffenen nicht durch problemorientiertes Verhalten vorweg verhindern oder bewältigen können, sodass sie Zuflucht zu magisch-zwanghaften Ritualen suchen. 

Bei zwanghaften Zahlenmagien geht es interessanterweise nicht um vermeintlich erhöhte Chancen für die eigene Person oder andere Menschen, sondern um die Verhinderung von Unglück, an dem sich die Betroffenen sonst schuldig fühlen würden. Das ist das entscheidende differenzialdiagnostische Kriterium: Menschen mit Angststörungen, speziell auch mit einer Spezifischen Phobie, erleben sich angesichts bestimmter Situationen als hilflose Opfer, Personen mit einer Zwangsstörung fühlen sich dagegen schuldig und betrachten sich sogar dann als Täter, wenn sie ein Unglück bei geliebten Angehörigen nicht um jeden Preis verhindern können. 
 

Häufigkeit und Folgewirkungen Spezifischer Phobien

 
Rund jeder Zehnte weist mindestens eine Spezifische Phobie auf, sodass diese die häufigste Angststörung überhaupt darstellt. Nach einer großen deutschen Studie litten 10,3 Prozent der Bevölkerung innerhalb der letzten 12 Monate unter einer Spezifischen Phobie. Im Rahmen einer großen Verlaufsstudie bei 14- bis 17-Jährigen in Bayern wurde bei 10,9 Prozent der Jugendlichen eine Spezifische Phobie innerhalb der letzten 12 Monate festgestellt. Bei einer repräsentativen Befragung in den USA berichteten 8,7 Prozent der Bevölkerung von einer Spezifischen Phobie innerhalb der letzten 12 Monate und 12,5 Prozent im Laufe des Lebens.

Am weitesten verbreitet sind Spezifische Phobien vom Tier-Typ (5 bis 8 Prozent), gefolgt vom Situativen Typ (4 bis 8 Prozent) und dem Blut-Spritzen-Verletzungstyp (3 bis 4 Prozent), am seltensten ist der Naturgewalten-Typ (Höhenangst tritt jedoch laut einer Studie bei immerhin 4 Prozent auf). Nach anderen Erhebungen kommt der Situative Phobietyp (Klaustrophobie) am häufigsten vor (je nach Studie bei 7 bis 8 Prozent bzw. bei 14 Prozent).

Zu einzelnen Spezifischen Phobien gibt es Zahlen, die das vielfach unterschätzte Ausmaß ihrer Verbreitung dokumentieren. Eine krankheitswertige Spinnenphobie kommt bei 10 Prozent der Bevölkerung vor. Eine krankheitswertige Flugangst findet man bei rund 15 Prozent der Bevölkerung (weitere rund 20 Prozent haben ein mulmiges Gefühl beim Fliegen).

Eine Zahnbehandlungsphobie besteht bei 7 bis 10 Prozent der Bevölkerung.
Frauen sind je nach Studie von einer Spezifischen Phobie zwei- bis viermal häufiger betroffen als Männer. Das gilt vor allem in Bezug auf Spezifische Phobien des Tier-Typs, des Situativen Typs und des Naturgewalten-Typs, weniger ausgeprägt auch für den Blut-Spritzen-Verletzungstyp. Bereits um das zehnte Lebensjahr herum beträgt das Geschlechterverhältnis Mädchen zu Jungen 3:1.

Spezifische Phobien setzen im Lebenslauf viel früher ein als eine Soziale Phobie oder eine Agoraphobie; sie sind am häufigsten bei Kindern und am seltensten im höheren Alter. Spezifische Phobien beginnen im Kindes- und Jugendalter meistens schon im Alter von 5 bis 11 Jahren (durchschnittlich mit 10 Jahren) und halten oft bis ins Erwachsenenalter an.

Tierphobien treten bei über 80 Prozent der Betroffenen bereits vor dem 10. Lebensjahr auf, ohne dass die meisten davon negative Erfahrungen mit Tieren gemacht haben. Neben der Furcht vor Tieren ist aufgrund des biologischen Erbes aus der Urzeit der Menschheitsgeschichte vor allem die Furcht vor Dunkelheit und Höhen bei den meisten Kindern längere Zeit vorhanden, bis diese dann im günstigsten Fall von allein vergeht.

Bei Kindern äußern sich Furchtreaktionen einerseits in Erstarren und Anklammern an die Bezugsperson, andererseits in Schreien, Weinen, Wutanfällen oder panischem Davonlaufen. Bei Kindern sollte nur dann eine krankheitswertige Störung diagnostiziert werden, wenn eine erhebliche altersuntypische Beeinträchtigung entstanden ist.

Die Ursachen für das frühzeitige Auftreten im Kindesalter sind vielfältig. Kinder müssen erst lernen, mit dem biologischen Erbe aus der Zeit der Vorfahren besser umzugehen und eine weniger ängstliche bzw. realitätsangemessenere Einschätzung von Gefahren zu entwickeln. Aufgrund eines permanenten Vermeidungsverhaltens entwickeln viele betroffene Kinder keine geeigneten Bewältigungsstrategien.

Wenn Kinder von klein auf nicht lernen, mit den ganz normalen, evolutionsgeschichtlich geprägten Furchtreaktionen angesichts von Situationen wie Dunkelheit, Höhen, Wasser, krabbelnden oder kriechenden Tieren angemessen umzugehen, kann im Laufe der Zeit aufgrund dieser Defizite eine Spezifische Phobie entstehen. Viele Eltern mit derselben Spezifischen Phobie ermöglichen kein hilfreiches Modelllernen, verhalten sich bis ins Jugendalter zu gewährend oder aufgrund von überhöhten Ansprüchen an das Kind ungewollt traumatisierend.

Spezifische Phobien treten auch im Erwachsenenalter erstmalig auf, insbesondere Spezifische Phobien vom Situativen Typ (Klaustrophobie), vor allem die Furcht vor dem Fliegen oder dem Fahren auf Autobahnen oder Tunneln, nicht selten bedingt durch die Erfahrung von Panikattacken oder panikähnlichen Symptomen in diesen Situationen. Andere Spezifische Phobien, wie etwa eine Hundephobie, setzen vor allem nach traumatischen Erfahrungen mit Hunden ein.

Spezifische Phobien sind bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen oft ein frühes Anzeichen für spätere psychische Störungen von erheblichem Ausmaß. Alle Subtypen, vor allem auch deren Kombinationen, erhöhen das spätere Risiko für andere psychische Störungen, wie etwa andere Angststörungen, Depressionen oder Essstörungen.
Die Betroffenen sind auch ohne Mehrfacherkrankung (Komorbidität) umso kränker, je mehr Spezifische Phobien sie aufweisen. Spezifische Phobien, die bis ins Erwachsenenalter anhalten, verschwinden nur selten von allein (nur bei 20 Prozent); sie bleiben im Erwachsenenalter ohne Behandlung oft hartnäckig bestehen.

Rund die Hälfe der Menschen mit Spezifischen Phobien kann sich an keine bestimmten Auslöser erinnern, was allerdings nicht heißt, dass bei den Betroffenen tatsächlich keine gegeben waren. Nach einer älteren amerikanischen Studie sind die Ursachen von Spezifischen Phobien laut den befragten Personen völlig unterschiedlich: 36 Prozent berichten von traumatischen Erfahrungen, 8 Prozent von Modelllernen (Beobachtung des ängstlichen Verhaltens oder eines Traumas anderer Personen) und weitere 8 Prozent von „semantischem Lernen“ (Informationsvermittlung vonseiten anderer Personen).

Typische Auslösesituationen im Erwachsenenalter sind folgende Ereignisse: Angriff eines Hundes, Bienen- oder Wespenstich, Steckenbleiben im Aufzug, mehrstündiges Ausharren in einer stehengebliebenen Seilbahn, spontane Panikattacke in der U-Bahn oder auf der Autobahn, starke Turbulenzen beim Fliegen, Medienberichte über einen Flugzeugabsturz, heftiger Höhenschwindel beim Blick von oben nach unten, Wahrnehmung der Bedrohung eines anderen Menschen durch bestimmte Umstände, starke Übelkeit oder unerwartete Schmerzen nach einer Blutabnahme, Spritze oder Zahnbehandlung, Kollaps nach dem Blutspenden, real oder subjektiv bedrohliches Verschlucken beim Essen.

Trotz lebensgeschichtlicher Ursachen in bestimmten Fällen kann die auffällige Häufigkeitsverteilung Spezifischer Phobien nicht durch negative Erfahrungen und psychosoziale Stressfaktoren erklärt werden. Die weite Verbreitung der Spinnen- und Schlangenphobie hat in den meisten Fällen nichts mit negativen Erfahrungen mit diesen Tieren zu tun, sondern hängt mit der Evolution des Menschen, mit Ekelgefühlen und bestimmten Sozialisationsfaktoren zusammen.

Das Ausmaß des Krankheitsgefühls und der Behandlungsbedürftigkeit von Menschen mit Spezifischen Phobien kann schwanken und hängt von vielen Umständen ab, vor allem auch vom Ausmaß des möglichen und tolerablen Vermeidungsverhaltens. Wer aus beruflichen Gründen fliegen oder mit dem Auto auf Autobahnen oder durch Tunneln fahren muss, leidet unter seiner Spezifischen Phobie stärker als jemand, der alle gefürchteten Objekte und Situationen bewusst vermeiden möchte und dies auch ohne größere Folgeprobleme tun kann.

Die Folgen Spezifischer Phobien reichen vom Fernbleiben von der Schule bis zur Arbeitsunfähigkeit, von privaten bis zu partnerschaftlichen und familiären Problemen, vom sozialen Vermeidungsverhalten bis zum körperlichen Schonverhalten, vom Missbrauch von Alkohol und Beruhigungsmitteln bis zur Abhängigkeit davon, sodass die Lebensqualität und die Funktionsfähigkeit der Betroffenen erheblich beeinträchtigt sind. Bei Personen mit Blut-Spritzen-Verletzungsphobien besteht sogar aufgrund der Vermeidung medizinischer Behandlungssituationen eine erhöhte gesundheitliche Gefährdung. Viele Menschen mit einer Klaustrophobie können nicht einmal an einer MRT-Untersuchung als Voraussetzung einer eventuellen Behandlung teilnehmen.

Zahlreiche Menschen leiden unter mehr als einer Spezifischen Phobie. Mit zunehmender Anzahl der Spezifischen Phobien steigt das Ausmaß der psychosozialen Beeinträchtigungen, aber auch das Risiko für Mehrfacherkrankungen, vor allem in Verbindung mit einer multiplen Situationsphobie im Sinne einer Agoraphobie, eines ansteigenden Substanzkonsums (Alkohol und Tranquilizer), einer depressiven Störung aufgrund fehlender Erfolgserlebnisse oder einer Somatoformen Störung bzw. Körperlichen Belastungsstörung. Dies weist darauf hin, dass auch Spezifische Phobien, so harmlos sie auf den ersten Blick wirken mögen, spätestens in Kombination mit anderen psychischen Störungen, ähnlich wie andere Angststörungen, schlimme Folgen für das weitere Leben haben können.